Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
Vom Netzwerk:
Northwest-Morde –D’Addario hat wirklich genug am Hals. Es hat bereits eine Besprechung mit dem Colonel und Deputy Mullen zur Latonya-Wallace-Truppe gegeben, bei der Jay Landsman eine Stunde lang die Bemühungen der Detectives skizziert und dann Fragen beantwortet hat, bis die Chefs halbwegs beschwichtigt schienen. Ein gelungenes taktisches Manöver, aber D’Addario weiß natürlich, dass Landsmans Redekünste nur einen kurzen Aufschub bringen, wenn die Aufklärungsquote nicht steigt.
    Wenn D’Addario noch gut mit dem Captain stünde, wäre die Lage nicht ganz so bedrohlich. Doch vor Kurzem war ein schon lange gärender Konflikt plötzlich hochgekocht. Kurz und bündig: Der Captain will D’Addario nicht mehr als Leiter einer Schicht. Für D’Addario sagte die Tatsache, dass sein Chef ihn bei den Ermittlungen zur Monroe Street übergangen hatte, alles. Und jetzt, wo seine Aufklärungsquote im Keller ist, hat der Captain was gegen ihn in der Hand – es sei denn, D’Addario gelingt es, ihm einen der großen Fälle vor die Füße zu legen oder zumindest die Tendenz bei der Aufklärungsquote umzukehren. Dass D’Addario seinen Job schon acht Jahre macht, zählt hierbei nicht die Bohne; das Gedächtnis des Führungsstabs reicht selten weiter als bis zum letzten Red Ball, weswegen die Polizeioberen gerne alles auf die schlichte Frage reduzieren: Was haben Sie eigentlich in letzter Zeit für mich getan?
    Wenn die Quote gut ist, wenn die Red Balls gelöst werden, interessiert sich kein Mensch dafür, wie D’Addario seine Truppe führt. Sie sagen Ihren Detectives und Sergeants, sie sollen ihrem eigenen Urteil folgen? Prima, ein gutes Beispiel für eine Führungspersönlichkeit, die Vertrauen und Verantwortung fördert. Sie überlassen es den Sergeants, ihre Männer auszubilden und ihnen Disziplin beizubringen? Bestens, ein Mann, der zu delegieren versteht. Ihre Überstunden liegen 90 Prozent über Ihrem Budget? Schön, von nichts kommt nichts. Ach, Entschädigungen für Anwesenheit bei Gericht auch noch? Tja, das beweist nur, dass mehr Morde vor Gericht kommen. Stürzt aber die Quote ab, gilt der Lieutenant mir nichts dir nichts als führungsschwach, als unfähig, seine Leute zur Disziplin anzuhalten, als Vorgesetzter, der seinen Untergebenen zu viel freie Hand lässt, der sein Budget nicht unter Kontrolle hat.
    In der Nachtschicht unmittelbar vor dem Auftritt des Colonel kämpften sich fünf oder sechs Detectives verzweifelt durch Berge von Papierkram, der offene Mordfälle betraf. Eddie Brown, James, Fahlteich, Kincaid, Nolan – eine gute Mischung, erfahrene Leute, die gute wie schlechte Zeiten im Morddezernat erlebt hatten. Irgendwann kam unweigerlich das Gespräch auf die Frage, ob dieses Jahr die Dinge wirklich zum Schlechteren ausschlagen würden. Manche meinten, es gleiche sich doch am Ende immer aus, für jeden schwer lösbaren Fall gebe es eine entsprechende Menge von Fällen, deren Lösung auf der Hand liege. Andere wiesen darauf hin, dass es schon geholfen hätte, wenn man sich ein paar Dezemberfälle aufgehoben hätte, um die Statistik des laufenden Jahres ein bisschen zu frisieren. Doch alle mussten zugeben, dass sie sich nicht daran erinnern konnten, dass die Quote schon einmal magere 36 Prozent betragen hatte.
    »Ich sag euch was«, meinte Fahlteich, »ich glaube, dass es noch schlimmer wird.«
    »Und zwar verdammt viel schlimmer«, fügte Nolan hinzu. »Wir bringen hier schon lange nichts mehr, und jetzt holt uns das ein.«
    Plötzlich hörten alle auf, zu tippen oder Dokumente zusammenzustellen, man übertraf sich gegenseitig mit Klagen – über die Ausrüstung, Wagen ohne Funk, dass sie immer noch keinen eigenen Lügendetektor hatten, sodass sie immer auf Geräte des FBI zurückgreifen müssen. Man beschwerte sich über die Kürzung der zulässigen Überstunden, darüber, dass die Vorbereitung auf Prozesse nicht bezahlt wurde, weshalb aussichtsreiche Anklagen oft schlicht und einfach danebengingen. Sie klagten darüber, dass ihnen zu wenig Geld für Informanten zur Verfügung stand. Sie wetterten über die Lahmheit der Spurensicherung und der Ballistiker, darüber, dass man eine Grand Jury ungestraft anlügen konnte, und zu viele Ankläger es den Zeugen durchgehen ließen, wenn sie ihre Aussagen vor der Grand Jury zurückzogen. Sie beklagten sich über die wachsende Zahl von Drogenmorden, darüber, dass die Zeit der leicht lösbaren Beziehungstaten und der mehr als neunzigprozentigen

Weitere Kostenlose Bücher