Homicide
hatten? Trotzdem war die dritte Alternative – die vage Möglichkeit, dass John Randolph Scott von einem Anwohner erschossen wurde, als er auf der Flucht vor Polizisten in eine Wohnung einbrach oder ein zweites Fahrzeug stahl – die schlimmste von allen. Denn Worden wusste, sobald er einen Anwohner als Verdächtigen präsentierte, würden seine Vorgesetzten ausrasten. Wie sollten sie es der politischen Führung der Stadt und erst recht den Meinungsführern der schwarzen Gemeinde erklären? Tja, Herr Bürgermeister, zuerst haben wir gedacht, dass Mr. Scott von weißen Cops erschossen wurde, die ihn verfolgten, inzwischen aber sind wir ziemlich sicher, dass es ein schwarzer Anwohner vom 1000er-Block in der Fulton Street gewesen ist.
Aha. Gut. Kein Problem.
Nach fünfundzwanzig Jahren bei der Polizei von Baltimore sollte Donald Worden seine Laufbahn nun mit einem Fall krönen, in dem er eventuell einen Cop hinter Gitter brachte. Anfangs war ihm diese Vorstellung schrecklich erschienen – Worden fühlte sich ebenso auf den Straßen zu Hause wie jeder einzelne von der Streife auch, wenn nichtsogar noch mehr. Bevor er ins Präsidium versetzt wurde, hatte er über zehn Jahre in der Einsatzleitung im Northwestern District gedient und war seiner Beförderung nur widerstrebend gefolgt. Doch wegen diesem kleinen Dieb mit dem Schuss im Rücken trafen sich jetzt Streifenbeamte von drei Districts auf leeren Parkplätzen, rollten mit ihren Funkwagen, Motorhaube an Kofferraum, neben die ihrer Kollegen und unterhielten sich bei heruntergelassener Wagenscheibe in gedämpftem Ton über einen Mann, der schon Streife ging, als sie sich in der Grundschule noch mit dem Blasrohr traktierten. Wofür hält sich dieser Worden eigentlich? Nimmt er wegen dieser Sache in der Monroe Street tatsächlich Polizisten ins Visier? Hat er etwa vor, einen von uns dranzukriegen, nur wegen eines toten Yo? Ist er solch eine Ratte?
»Oje, Worden sitzt wieder an der verflixten Akte!«
Wordens Partner steht in der Tür und schwenkt einen zerknitterten Zettel. Rick James ist zehn Jahre jünger als Worden und hat weder dessen Instinkt noch dessen Kombinationsgabe – aber wer hatte das schon. Worden hat sich mit dem jüngeren Kollegen zusammengetan, weil James einen Tatort betreuen und einen guten Bericht schreiben kann, denn Worden würde trotz all seiner Dienstbeflissenheit lieber seinen Revolver verspeisen als zwei Stunden vor der Schreibmaschine zu hocken. Wenn er gute Laune hat, sieht er in James ein vielversprechendes Talent, einen Lehrling, an den er seine Erfahrung aus fünfundzwanzig Jahren Polizeiarbeit weitergeben kann.
Der Big Man sieht langsam auf und fixiert den Zettel in der Hand des Jüngeren.
»Was ist das?«
»Ein Einsatz, mein Süßer.«
»Wir müssen keine Einsätze annehmen. Wir sind eine Sonderkommission.«
»Aber Terry sagt, wir sollen uns darum kümmern.«
»Was ist es denn?«
»Eine Schießerei.«
»Ich mache keine Mordfälle mehr«, entgegnet Worden trocken. »Ich bin jetzt Spezialist für Dienstwaffenscheiß.«
»Komm, Kleiner, verdienen wir uns unsere Brötchen.«
Worden kippt seinen Kaffee hinunter, wirft den Stummel seiner Zigarrein den Papierkorb und gestattet sich ein, zwei Sekunden lang die Illusion, es gebe ein Leben nach der Monroe Street. Dann geht er zum Garderobenständer.
»Vergiss deine Knarre nicht, Donald!«
Zum ersten Mal an diesem Tag muss der Big Man grinsen.
»Die habe ich versetzt. Unten an der Baltimore Street, eingetauscht gegen ein paar gute Werkzeuge. Wo ist unsere Schießerei?«
»Greenmount. Dreitausendachthunderter Block.«
Als Detective Sergeant Terrence Patrick McLarney sieht, dass sich die beiden zum Gehen fertigmachen, nickt er zufrieden. Seit dem Toten in der Monroe Street ist mehr als ein Monat vergangen, und McLarney will seine Detectives wieder im normalen Schichtdienst haben und ihnen Fälle übertragen können. Allerdings muss er dabei behutsam vorgehen, denn seine Vorgesetzten sollen nicht den Eindruck bekommen, dass die Sonderkommission Monroe Street ihre Arbeit einstellt. Mit ein bisschen Glück, hat sich McLarney gedacht, kriegt Worden mit diesem Einsatz einen Mord, und der Verwaltungsleiter lässt ihn mit der Scott-Sache in Ruhe.
»Bin im Einsatz, Sergeant«, sagt Worden.
Im Fahrstuhl nestelt Rick James an den Autoschlüsseln und starrt auf sein verschwommenes Spiegelbild auf den Metalltüren. Worden betrachtet die Anzeigetafel.
»McLarney ist froh, nicht wahr?«
Worden
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