Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
Vom Netzwerk:
antwortet nicht.
    »Mann, hast du heute eine Laune, Donald.«
    »Halt die Klappe. Du fährst.«
    Rick James verdreht die Augen und betrachtet seinen Partner. Vor ihm steht ein einsvierundneunzig großer, 110 Kilogramm schwerer Eisbär in Gestalt eines achtundvierzigjährigen Mannes mit schiefen Zähnen, tiefblauen Augen, weißem, sich lichtendem Haar und zu hohem Blutdruck. Jawohl, ein Bär. Warum James trotzdem gern mit ihm zusammenarbeitet, ist leicht erklärt: Worden ist der geborene Polizist.
    »Ich bin nur ein dummer Weißer aus Hampden, der seinen Weg durch diese Welt in die nächste sucht«, sagt Worden gern, wenn er sich vorstellt. Zumindest auf dem Papier stimmt das: In Baltimore geboren und aufgewachsen, diente er nach der Highschool ein paar Jahre bei derNavy und bewarb sich schließlich bei der Polizei, wo er es in all seinen Dienstjahren nicht weiter brachte als bis zum Streifenpolizisten und Detective. Auf der Straße jedoch war Worden einer der gewieftesten Cops der ganzen Stadt. Er hatte mehr als ein Vierteljahrhundert bei der Polizei verbracht – zwölf Jahre im Northwestern District, drei bei der Fahndung, weitere acht im Raub- und die letzten drei im Morddezernat – und kannte Baltimore wie kaum ein anderer.
    Er war nicht ohne Bedenken ins Morddezernat gewechselt. Dessen Schichtleiter hatten wiederholt bei ihm angefragt, doch Worden, ein Mann alter Schule, hielt noch auf Loyalität und Treue. Der Lieutenant, der ihn ins Raubdezernat geholt hatte, wollte ihn behalten, und Worden empfand ihm gegenüber eine Verpflichtung. Außerdem fühlte er sich seinem Partner John Grady verbunden, obwohl man sich kaum eine extremere Kombination denken konnte – ein Möchtegern-Hinterwäldler aus der reinweißen Enklave Hampden im Norden Baltimores und ein bulliger schwarzer Cop aus Baltimores Westside. Das Salz-und-Pfeffer-Gespann war eine Legende, und Worden nutzte jede Gelegenheit, Rick James und die anderen im Morddezernat daran zu erinnern, dass er außer Grady nie einen Partner gehabt hatte, der diese Bezeichnung auch wirklich verdiente.
    Doch zu Beginn des Jahres 1985 war für ihn die Arbeit im Raubdezernat zu einer öden Routine geworden. Worden hatte Hunderte von Ermittlungen durchgeführt – Bankraub, Überfälle auf Geldtransporter und Läden in der Innenstadt, Hehler. Früher hatte er jüngeren Detectives gerne erklärt, im Raubdezernat habe man es mit der Elite der Diebe zu tun, heute aber entsprang ein Banküberfall in der Charles Street meist nur der Verzweiflung eines zittrigen Junkies und nicht dem durchdachten Plan eines Profis. Letztlich wurde ihm die Entscheidung durch den Job abgenommen. Worden erinnert sich noch gut an den Morgen, als er bei seinem Eintreffen im Büro den Bericht eines Vorfalls im Eastern District auf dem Schreibtisch fand, den Überfall auf einen Schnapsladen in der Greenmount Avenue. Er wurde darin als bewaffneter Raubüberfall eingestuft, was bedeutete, dass ein Detective aus dem Präsidium die Ermittlungen noch einmal durchgehen musste. Worden las, dass sich eine Gruppe Jugendlicher einen Sechserpack Bier geschnappt hatte und aus dem Laden gelaufen war. Als der Kassiererdie Verfolgung aufnahm, erntete er einen Schlag mit einem Ziegelstein auf den Hinterkopf. Das war kein Kapitalverbrechen, verdammt, es war nichts, was ein Streifenpolizist nicht hätte regeln können. Für Worden aber war es nach acht Jahren im Raubdezernat der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Am nächsten Tag ging er zum Captain und übergab ihm sein Versetzungsgesuch.
    Da er sich bereits einen Namen gemacht hatte, berief man ihn ans andere Ende des Flurs, und in den folgenden zwei Jahren bewies er nicht nur seine Fähigkeiten als Mordermittler, sondern wurde sogar zum Stützpfeiler von McLarneys Team – keine geringe Leistung in einer Gruppe von fünf Männern, von denen zwei ebenfalls bereits ihre zwanzig Jahre Dienstzeit auf dem Buckel hatten. Rick James war im Juli 1985 ins Morddezernat gekommen, also nur drei Monate vor Worden, und da er die Lage rasch erfasste, tat er sich mit dem Big Man zusammen und heftete sich so dicht an Wordens Fersen, dass die anderen es ihm übel nahmen. Worden aber fand an seiner Rolle als Mentor ganz offensichtlich Gefallen, und James erfüllte seinen Part, indem er sich am Tatort nützlich machte und die unvermeidlichen Berichte schrieb. Wenn Worden ihn nur an der Hälfte seiner Erfahrung teilhaben ließ, bevor er in Pension ging, würde James noch lange

Weitere Kostenlose Bücher