Homicide
Zeit im Morddezernat bleiben können.
Schwierig an der Zusammenarbeit mit Worden waren seine Stimmungstiefs, das düstere Brüten, dass er sich noch immer für das Gehalt eines Streifenpolizisten abrackerte, wo er doch eigentlich seine Pensionierung beantragen und als Sicherheitsberater oder mit einer eigenen Renovierungsfirma eine ruhige Kugel hätte schieben können. Es war Worden seltsam peinlich, dass er nach wie vor Mörder jagte, während die meisten, mit denen er angefangen hatte, im Ruhestand waren oder längst einen anderen Beruf ergriffen hatten. Der kleine Trupp, der noch übrig war, ließ seine Arbeitsjahre an einem Schreibtisch oder als Gefängniswärter ausklingen oder saß an der Eingangskontrolle des Präsidiums, wo er im Transistorradio die Spiele der Baltimore Orioles verfolgte und noch ein oder zwei Jährchen durchhielt, um die Pension aufzustocken. Überall in seiner Umgebung nahmen Jüngere ihren Abschied und fingen anderswo etwas Besseres an.
So ertappte sich Worden in letzter Zeit immer häufiger, wie er ernsthaftvom Aufhören sprach. Doch im Grunde seines Herzens wollte er gar nicht an den Ruhestand denken – die Polizei war seine Heimat seit 1962 und seine Versetzung ins Morddezernat der letzte Schwung eines langen geschmeidigen Bogens. Eigentlich hatte ihm seine Arbeit als Mordermittler in den vergangenen drei Jahren Kraft gegeben, ja sogar Spaß gemacht.
Besondere Freude hatte der Big Man an der fortgesetzten Aufgabe, Rick James und Dave Brown, die jüngeren Detectives seines Teams, »einzureiten«. James machte sich inzwischen nicht schlecht, doch Brown war nach Wordens Ansicht ein schwieriger Kandidat. Worden ließ keine Gelegenheit aus, ihm das auch zu erklären, und unterzog den Mann einem Training, das man wohl am besten als »Fördern durch Fertigmachen« bezeichnen konnte.
Als der Unerfahrenste im ganzen Team tolerierte Dave Brown das Poltern des Big Man – zum einen, weil er wusste, dass Worden ihm im Grunde helfen wollte, aber auch, weil er keine andere Wahl hatte. Die Art ihrer Beziehung illustrierte anschaulich ein Farbfoto, das die Spurensicherung bei einem Mord in Cherry Hill aufgenommen hatte. Im Vordergrund sieht man den konzentrierten Dave Brown, der in der vergeblichen und äußerst optimistischen Hoffnung, sie könnten mit dem Fall in Verbindung stehen, in der Umgebung eines Erschossenen leere Bierdosen einsammelt. Im Hintergrund sitzt Donald Worden auf den Stufen eines Sozialbaus und sieht dem jüngeren Detective mit – wie es scheint – unverhüllter Verachtung zu. Dave Brown löste das Foto aus der Fallakte und nahm es als Souvenir mit nach Hause. Das war der Big Man, wie Dave Brown ihn kannte und liebte. Mürrisch, verärgert und immer kritisch. Ein einsamer letzter Zenturio, dem die jüngere Generation von Nieten und Arschkriechern sowohl Qual als auch Herausforderung ist.
Das Foto zeigt den Big Man im Vollbesitz seiner Kräfte, aggressiv, zuversichtlich und eine wandelnde Mahnung für jeden jüngeren oder unerfahrenen Detective seiner Schicht. Natürlich wurde der Fall von Cherry Hill gelöst, nachdem Worden einen Tipp bekommen hatte, der sie zur Mordwaffe in der Wohnung der Freundin des Täters führte. Aber das geschah zu einer Zeit, als Worden an seiner Arbeit im Morddezernat noch Freude hatte. Vor der Monroe Street.
Als sie auf dem mittleren Parkdeck in einen Cavalier steigen, wagt es James, noch einmal ein Gespräch zu beginnen.
»Wenn es ein Mord ist«, sagt er, »mache ich den Leitenden.«
Worden wirft ihm einen Blick zu. »Willst du nicht erst mal abwarten, ob schon jemand festgenommen wurde?«
»Nein, Schatz. Ich brauche das Geld.«
»Du Nutte.«
»Du hast’s erfasst, Süßer.«
James lenkt den Wagen über die Garagenrampe auf die Lafayette und dann nach Norden auf die Gay Street bis zur Greenmount. In Gedanken befasst er sich mit der komplexen Berechnung der zu erwartenden Überstunden. Zwei Stunden am Tatort, drei mit Befragungen, drei weitere mit Papierkram und zuletzt vier bei der Autopsie. James malt sich aus, wie nett sich zwölfeinhalb Stunden auf seinem Gehaltszettel ausmachen werden.
Doch die Greenmount ist kein Mord, nicht einmal eine richtige Schießerei. Das ist beiden Detectives klar, nachdem sie sich den drei Minuten langen, wirren Monolog ihres sechzehnjährigen Zeugen angehört haben.
»Uff. Jetzt noch mal von vorn. Und zwar langsam.«
»Derrick kam reingelaufen …«
»Wer ist Derrick?«
»Mein Bruder.«
»Wie
Weitere Kostenlose Bücher