Homicide
Haupteingang machen Fernsehreporter Stand-ups für die Mittagsnachrichten. In diesem Augenblick erscheinen Vertreter der Gefängniswärtergewerkschaft, um ihre Kritik an der Anstaltsleitung vorzubringen und eine erneute Untersuchung der Verhältnisse in dem Hochsicherheitsgefängnis zu fordern. Ein Stück die Eager Street runter hält ein Junge auf einem Zehngangrad vor dem schmiedeeisernen Tor und lauscht den Rufen der Insassen im Westtrakt. Er bleibt ein oder zwei Minuten stehen, hört sich die Beschimpfungen und Beleidigungen an, dann drückt er die Play-Taste eines Kassettenrekorders, der unter dem Lenker angebracht ist, und radelt weiter in Richtung Greenmount.
»It takes two to make a thing go right …
«
Schlagzeug, Schrei, Schlagzeug, Schrei. Die geistlose Litanei eines weiteren Baltimorer Sommers, die Erkennungsmelodie einer blutenden Stadt.
»
It takes two to make a thing go right …«
Landsman und Fahlteich steigen in den stickig aufgeheizten Cavalier und rollen mit geöffneten Fenstern langsam in Richtung Stadtautobahn, auf eine Brise hoffend, die einfach nicht kommen will. Fahlteich stellt die Mittelwellefrequenz 1100 ein, den Nachrichtensender, auf dem jede Stunde Meldungen wie diese gebracht werden: zwölf Schwerverletzte bei Unruhen in der Strafvollzugsanstalt Maryland. Nachtwächter erschlagen in einem Laden auf der North Howard Street gefunden. Und die Wettervorhersage des Senders WBAL kündigt für den nächsten Tag teilweise Bewölkung und Hitze mit Höchstwerten um die 35 Grad an.
Ein weiterer Tag, an dem man Klappmesser eintüten und auf Gehwegen Kreidezeichnungen anfertigen wird. Ein weiterer Tag, an dem man Wadcutter-Projektile aus Zimmerwänden ziehen und das Blut an einem zerbrochenen Flaschenhals fotografieren wird. Ein weiterer Tag, der auf den mörderischen Straßen seinen Tribut fordern wird.
Freitag, 8. Juli
Wieder sucht eine heiße, schwüle Nacht ein Haus in South Baltimore heim, wo sich die Gewalt des Streits eines Liebespaars bemächtigt. Edgerton sieht sich den Tatort an und schickte ein paar Zeugen ins Präsidium, bevor er sich in den Krankentransporter quetscht.
»Wie geht’s, Officer Edgerton?«
Der Detective blickt auf die Krankenbahre und das blutüberströmte Gesicht von Janie Vaughn, das ihn anlächelt. Janie aus dem Patch, wie die Einheimischen den Bezirk Westport nennen. Ein gutherziges Mädchen von siebenundzwanzig, das, als Edgerton das letzte Mal mit ihr zu tun hatte, mit einem Jungen namens Anthony Felton ging. Feltons Problem war seine Neigung, Menschen zu erschießen, meist wegen Geld oder Drogen. Er wurde zweimal freigesprochen, wegen eines dritten Mords ging er für fünfzehn Jahre in den Knast. Wie es jetzt aussieht, ist auch Janies neuer Freund nicht gerade der Inbegriff von Selbstkontrolle.
»Und Ihnen? Wie geht’s Ihnen?«
»Sehe ich wirklich so schlimm aus?«
»Sie haben schon besser ausgesehen«, erklärt Edgerton. »Aber wenn Sie jetzt immer weiteratmen, werden Sie es schaffen … Ich habe gehört, dass Ihr Freund Ronnie auf Sie losgegangen ist.«
»Ja, das stimmt.«
»Ist er einfach ausgerastet, oder was?«
»Ich wusste nicht, dass er so weit gehen würde.«
»Sie gabeln aber auch immer Typen auf!«
Janie lächelt. Einen Augenblick lang schimmern ihre weißen Zähne in dem blutverschmierten zerschmetterten Gesicht. Ein zähes Mädchen, denkt Edgerton, nicht von der Sorte, die bei jeder Kleinigkeit gleich in Ohnmacht fallen. Er schiebt sich im Krankenwagen ein bisschen weiter nach vorn und sieht sich ihr Gesicht näher an. Dabei entdeckt er die Tüpfelungen auf ihrer Wange – Schmutz und Metallreste von dem Schuss. Eine Kontaktwunde.
»Wussten Sie, dass er eine Waffe hat?«
»Er hat mir gesagt, dass er sie losgeworden ist. Verkauft.«
»Welche Waffe wird er dann wohl verkauft haben? Was meinen Sie?«
»Einen kleinen, billigen.«
»Welche Farbe?«
»Silber.«
»Okay, meine Süße, gleich geht’s los zum Krankenhaus. Wir sehen uns dort.«
Das andere Opfer, der achtundzwanzigjährige Freund von Janies älterer Schwester, ist bei der Ankunft in der Notaufnahme des Universitätskrankenhauses bereits tot. Er starb, weil er dazwischenging, als Ronnie Lawis auf Janie einprügelte. Im Krankenhaus erzählt sie Edgerton später, dass es in dem Streit nur um eine Bagatelle gegangen sei. Ronnie habe sie nur mit einem anderen Mann im Auto sitzen sehen.
»Wie geht’s Durrell?«, fragt sie Edgerton, als sie in jenem Teil der Notaufnahme
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