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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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hatte sie hastig aussteigen müssen, wobei eine Sandale in dem Wagen geblieben war.
    Bei näherer Untersuchung der Leiche stellt Worden außerdem Quetschungen an beiden Unterarmen fest, die der Form nach von Fingern stammen könnten. Wurde sie gepackt? Wurde sie tätlich angegriffen, bevor der Mörder wieder in den Wagen stieg und ihr den Rest gab? Und die Ohrringe: Wurden sie herausgerissen, als der Reifen über ihren Kopf rollte, oder bereits in einem vorausgehenden Kampf?
    Befreit von seiner Angst, den Fall aufgehalst zu bekommen, trifft der Unfallermittler, ein Sergeant, schon einen Augenblick später ein. Nachdem er sich die Reifenspuren auf der Toten angesehen hat, schwadroniert er wortreich über Gürtelreifen und die unzähligen Unterschiede zwischen den Fabrikaten. Bevor sein Gehirn zu Brei zerfließt, unterbricht Dave Brown seinen Vortrag.
    »Was, glauben Sie, war das für ein Wagen?«
    »Schwer zu sagen. Aber das Profil ist bei Sportwagen ziemlich üblich. Ein 280 Z. Ein Camaro. Etwas in der Art.«
    »Nichts Größeres?«
    »Vielleicht ein bisschen, aber ich meine, es muss etwas in dieser Sportwagenklasse sein. Das sind Hochleistungsreifen, wie man sie bei einem tiefliegenden Wagen montiert.«
    »Danke«, sagt Worden.
    »Alles klar!«
    Dave Brown geht in die Hocke, um sich die Spuren genau anzusehen.
    »Keine Frage, Donald, das ist ein Mord«, sagt er. »Keine Frage, denke ich.«
    Worden nickt zustimmend.
    Aber die Fahrer, die in den Sattelschleppern am anderen Ende des Platzes schliefen, haben nichts gehört; und auch die Bahnarbeiter im Bahnwerk auf der anderen Seite der Gleise können sich an kein Geräusch und kein Scheinwerferlicht erinnern. Worden spricht mit dem Sergeant vom Sector und erfährt von ihm, dass es gegen vier Uhr morgens – gut zwei Stunden, bevor die Leiche entdeckt wurde – im Lagerhaus Feueralarm gab. Gerätewagen und Löschfahrzeuge von den Feuerwehrstationenin der Fort Avenue und der Light Street fuhren direkt auf den Schotterplatz, stellten fest, dass es weder ein Feuer noch Rauch gab, und zogen wieder ab – wahrscheinlich, ohne die Leiche zu bemerken. Die Frau wurde also nach vier Uhr getötet, sonst wäre die halbe Feuerwehr über die Leiche gefahren. Aber vielleicht, überlegt Worden, war es tatsächlich so.
    Die Nachricht von dem Feueralarm bedeutet, dass der Tatort bereits mehr oder weniger ruiniert ist. Wenn die Waffe ein Auto war, sind die Reifenspuren von großer Bedeutung, und auf einem Lehm- und Schotterboden müsste man leicht jede Menge solcher Spuren finden können – vorausgesetzt natürlich, dass nicht ein ganzer Konvoi von Feuerwehrwagen Gelegenheit hatte, über den Tatort zu rollen, ganz zu schweigen von dem halben Dutzend Funkstreifen, die ausnahmslos großen Wert darauf gelegt haben, möglichst nah an die Leiche heranzufahren. Womöglich wird Dave Brown einen ganzen Monat damit verbringen, Reifenabdrücke zu vergleichen, bis nur noch einer übrigbleibt. In der Hoffnung, dem zu entgehen, untersucht er den weiß getünchten Beton der Laderampe und das zerkratzte Metall eines Müllcontainers auf frische Schrammen und Dellen.
    »Ziemlich eng hier«, sagt er hoffnungsvoll. »Wäre es nicht wunderbar, wenn der Kerl irgendwo mit dem Kotflügel hängengeblieben wäre, während er hier rumkurvte?«
    Es wäre Manna vom Himmel, aber Brown hat den Satz noch nicht zu Ende gesprochen, als ihm bewusst wird, dass die einzige handfeste Spur, die er hat, die Leiche selbst ist. Und je nachdem, was in zwei Stunden im Obduktionssaal herauskommt, hat er womöglich herzlich wenig davon. Entgegen seinen ursprünglichen Erwartungen wird sich die Johnson Street nämlich als knallharter Whodunit erweisen; der Abstecher ins Billyland sollte leider doch keine Vergnügungsfahrt werden.
    Nachdem die Leiche in dem schwarzen Transporter verschwunden ist, gehen die beiden Detectives noch einmal zu der Zufahrt in der Johnson Street, wo sich in den letzten zwei Stunden eine Zuschauermenge angesammelt hat. Eine junge Frau winkt Dave Brown zu sich und fragt nach dem Namen des Opfers.
    »Den wissen wir noch nicht. Wir haben sie noch nicht identifiziert.«
    »War sie so um die vierzig?«
    »Jünger. Viel jünger, glaube ich.«
    Der Detective hat Mühe, nicht die Geduld zu verlieren, als die Frau lang und breit erklärt, dass ihre Tante am Abend zuvor spät ihr Haus in der South Light Street verlassen hat und seither nicht mehr gesehen wurde.
    »Wir wissen noch nicht, wer sie ist«, wiederholt

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