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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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Uniformierten ins Präsidium geschickt, und McLarney wird sich bald daranmachen, ihre Aussagen aufzunehmen. Beide sind Billys durch und durch, mit Harley-Davidson-Tattoos und kurzen Strafregistern, aber nichts von dem, was sie zu erzählen haben, erregt irgendeinen Verdacht.
    Während sich Worden dem Mann von der Spurensicherung widmet, geht Dave Brown den ganzen Platz entlang, bis zu dem mannshohen Gras am Rand der Bahngleise. Er springt auf die Betonrampe und geht einmal nach rechts und einmal nach links um das Lagerhaus. Keine Sandale. Brown geht noch eineinhalb Blocks weit auf der Johnson Street und sucht den Rinnstein ab, dann kehrt er wieder um und geht zur Südgrenze des Platzes. Dort springt er auf die Gleise hinunter und geht ein paar Meter weit die Bahnstrecke ab. Nichts.
    Als er zurückkehrt, hat der Labortechniker das Geld und den Schmuck eingetütet, die Leiche in ihrer ursprünglichen Position fotografiert und eine Skizze vom Tatort angefertigt. Auch die Leute von der Rechtsmedizin sind eingetroffen und machen ihre Polaroidfotos, verfolgt von zwei Fernsehkameras, die am Tor des Grundstücks postiert sind und ein paar Sekunden für die Mittagsnachrichten filmen.
    »Können sie von dort drüben die Leiche sehen?«, fragt Worden zum Sector-Sergeant gewandt.
    »Nein, der Anhänger versperrt ihnen die Sicht.«
    Worden nickt.
    »Bereit?«, fragt Brown.
    »Ja, packen wir’s an«, sagt ein Gehilfe aus der Rechtsmedizin und zieht sich die Handschuhe an. »Langsam und gleichmäßig.«
    Behutsam rollen die Männer die Leiche auf die Seite und schließlich auf den Rücken. Das Gesicht ist ein einziger Brei aus Blut und Fleisch. Noch mehr überrascht sind die Detectives aber beim Anblick der schwarzen Reifenabdrucke, die in einer diagonalen Linie über die linke Seite des Oberkörpers und den Kopf verlaufen.
    »Uah«, sagt Dave Brown. »Überfahren.«
    »Was sagt man dazu?«, erwidert Worden. »Das ist natürlich eine andere Geschichte.«
    Der ältere Detective geht zum Cavalier zurück, nimmt eins der Handfunkgeräte und geht auf den Stadtkanal.
    »64-40«, sagt Worden.
    »64-40.«
    »Ich bin bei dem Mordfall in der Johnson Street und brauche hier jemanden von der Unfallermittlung.«
    »10-4. Verstanden.«
    Eine halbe Minute später meldet sich ein Sergeant von der Unfallermittlung und erklärt der Einsatzzentrale, er werde auf der Johnson Street nicht benötigt, da es sich um einen Mord, nicht um einen Verkehrsunfall handle. Worden verfolgt das Gespräch mit zunehmender Gereiztheit.
    »64-40«, fährt Worden dazwischen.
    »64-40.«
    »Ich weiß, dass es ein Tötungsdelikt ist. Aber ich möchte jemanden von der Unfallermittlung als Sachverständigen hier haben.«
    »10-4«, erwidert der Verkehrstyp, der sich wieder dazugeschaltet hat. »Ich bin in ein paar Minuten da.«
    Nicht zu fassen, denkt Worden, ein Musterbeispiel für den Nichtmein-Job-Reflex. Die Verkehrsabteilung ist für sämtliche Verkehrsunfälle zuständig, auch für solche mit Fahrerflucht. Deshalb sträubt man sich dort gern, jemanden zu schicken, wenn sie Angst haben, die Arbeit könnte an ihnen hängenbleiben. McAllister und Bowman haben im März eine ähnliche Geschichte erlebt, als sie wegen einer Leiche, die zermalmt auf dem Seitenstreifen der Bayonne Avenue im Northeast lag, einen Unfaller anforderten. Das Ergebnis war, dass die Detectives am Tatort herumliefen und nach Chrom- und Lacksplittern suchten, während der Mann von der Verkehrsabteilung Ausschau nach Patronenhülsen hielt.
    »Hast du das mitgekriegt?«, fragt Worden fast ein bisschen belustigt. »Der Typ wollte erst kommen, als er mich sagen hörte, dass es ein Mord ist.«
    Dave Brown antwortet nicht, er ist zu sehr mit der neuen Situation beschäftigt. Ein überfahrenes Opfer verlangt eine völlig andere Herangehensweise, auch wenn sie beide nicht glauben, dass es ein Unfall war. Zum einen liegt die Leiche auf einem leeren Schotterplatz und wurde keine drei Meter von der Betonrampe entfernt überfahren. Man kann sich nur schwer vorstellen, dass ein Wagen auf einem so begrenzten Areal grundlos im Kreis herumfährt. Wichtiger aber ist die fehlende Sandale. Wenn es sich bei der Toten um eine Fußgängerin handelte und sie lediglich das Opfer eines Unfalls mit Fahrerflucht war, warum war dann die zweite Sandale nirgendwo zu finden? Nein, überlegen die Detectives, sie war keine Fußgängerin. Sie muss mit dem Wagen an denTatort gekommen sein, der sie dann überfuhr, und wahrscheinlich

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