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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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wieder hinaus in den Wiegeraum.
    »Ich wette, dass sie sich richtig freut, mich zu sehen.«
    »Wieso?«
    »Tiffany Woodhous. Das Kleinkind.«
    »Ah ja.«
    Doc Goodin ist erst seit ein paar Monaten in der Penn Street, und trotzdem haben sie und Worden schon eine gemeinsame Vergangenheit. Es war ein Riesentheater gewesen, vor drei Wochen, ein Anruf vom Bon Secours Krankenhaus, Verdacht auf Kindesmissbrauch. Der zerschundene Körper eines zweijährigen Mädchens wartete auf Worden und Rick James im hinteren Untersuchungszimmer. Tiffany Woodhous war mit einem Herzstillstand ins Krankenhaus eingeliefert worden, doch als die Rettungssanitäter einen Schlauch in den Magen des Kindes einführten, kam nur altes Blut von einer früheren Verletzung heraus. Erst da stellten die Ärzte fest, dass in Gesicht und Extremitäten bereits Leichenstarre einsetzte. Die beiden Detectives entdeckten eine großen Bluterguss an der rechten Stirnseite und weitere auf der Schulter, dem Rücken und am Unterleib.
    Vom Schlimmsten ausgehend ließen die Detectives beide Eltern insMorddezernat bringen, und als sie erfuhren, dass es im Haus der Familie in der Hollins Street noch drei weitere Kinder gab, nahmen sie Kontakt mit dem Sozialdienst auf. Doch auch nach ausführlicher Befragung beharrten Mutter und Vater darauf, dass sie keine Ahnung hätten, wer dem Kind diese Verletzungen zugefügt haben könnte. Da brachte ihre dreizehnjährige Tochter einen neuen Verdacht ins Spiel, indem sie einen Vorfall erwähnte, zu dem es gekommen war, als ihr zehnjähriger Cousin auf das Baby aufpasste. Das Mädchen sagte, sie sei im ersten Stock des Hauses gewesen, als sie ein klatschendes Geräusch gehört habe. Sie sei hinuntergegangen und habe ihren Cousin danach gefragt, und der Junge habe erklärt, er habe nur in die Hände geklatscht. Daraufhin habe sie, erzählte sie Worden, Tiffany mit nach oben genommen, aber die Kleine sei still und apathisch gewesen. Sie habe das Mädchen aufs Sofa gelegt und beobachtet, wie es eingeschlafen sei.
    Worden und James wollten natürlich umgehend den Jungen befragen, aber der war plötzlich nirgendwo mehr aufzutreiben. Er lebte bei seiner Tante, weil er bereits von seiner Großmutter, die am Bennett Place wohnte, abgehauen war, und jetzt war er auch aus der Hollins Street fortgelaufen. Als Julia Goodin bei der Autopsie am nächsten Morgen den kleinen Körper in Augenschein nahm, brauchte sie nur der Aussage der Tochter und den sichtbaren Gewalteinwirkungen auf den Körper nachzugehen, darunter auch ein heftiger Schlag auf den Kopf, der zu einer starken Gehirnblutung geführt hatte. All das reichte mindestens für eine Vorabentscheidung, dass es sich um ein Tötungsdelikt handelte – eine Entscheidung, die umgehend der Presse mitgeteilt wurde.
    Noch am selben Morgen wurde der Zehnjährige von einer Streife hinter dem Haus seiner Großmutter aufgegriffen und zum Morddezernat gebracht. In Gegenwart seiner Mutter und eines Staatsanwalts der Abteilung für jugendliche Straftäter machte er eine umfassende Aussage. Er sei, erzählte er den Detectives, kurz vor ein Uhr mittags mit Tiffany allein gewesen, als sie zu weinen angefangen habe. Er habe sie hochgenommen, mit ihr gespielt, bis sie sich wieder beruhigt habe, und sie dann auf eine Armlehne des Ruhesessels im Wohnzimmer gesetzt. Doch während der Junge fernsah, fiel das Kind rückwärts vom Sessel und schlug mit dem Kopf auf ein Fahrrad, das hinter dem Sessel auf dem Boden lag. Das kleine Mädchen weinte hemmungslos, und derJunge rannte hinaus, um seine Cousine zu holen, aber er konnte sie nicht finden und bekam panische Angst. In dem Moment kehrte die Dreizehnjährige zurück. Als die beiden bemerkten, dass Tiffanys Augen nach hinten rollten, legten sie sie auf eine Schaumstoffmatratze. Sie hörten, dass aus dem Rachen der Kleinen ein gurgelndes Geräusch kam, und schließlich stellten sie fest, dass Tiffany nicht mehr atmete.
    Panisch und ziemlich grob versuchten sie, das Kind wiederzubeleben, was die Blutergüsse auf Brust, Rücken und Unterleib erklärte. Das kleine Mädchen begann tatsächlich wieder zu atmen und wurde wieder auf das Sofa gesetzt. Aber die Atmung setzte erneut aus, und die Babysitter versuchten erneut, das Kind wiederzubeleben, diesmal, indem sie es mit kaltem Wasser bespritzten. Dann brachten sie das Mädchen ins Schlafzimmer und legten es neben seinen einen Monat alten Bruder. Sie riefen keinen Krankenwagen.
    Als die Dreizehnjährige am selben Tag

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