Homicide
erweise ich Ihnen meinen Respekt durch einen getreuen Bericht über das, was ich als Gast im Haus Ihres Lebens gesehen und gehört habe. Wie sie dabei wegkommen? Jeder schaufelt sich sein eigenes Grab oder errichtet sich ein Denkmal, indem er das ist, was er eben ist. Ich wünsche Ihnen also Glück und danke Ihnen für die mir geschenkte Zeit.
Simon beschreibt in größter Gründlichkeit und Klarheit, wie unmöglich der Job in einer Mordkommission eigentlich ist. Der Polizist, der da draußen in einem Mord ermittelt, muss nicht nur mit der Leiche fertig werden, die vor ihm liegt, sondern schleppt als zusätzliche Last auch eine ausufernde Hierarchie von Vorgesetzten mit sich herum – er trägt das ganze Gewicht einer bürokratischen Selbsterhaltungsmaschinerie. Trotz aller Fortschritte in der Kriminaltechnik, die durch Serien wie
CSI: Den Tätern auf der Spur
inzwischen einem breiten Publikum bekannt geworden sind, scheint für die Ermittler auf den Straßen bisweilen die einzige zuverlässige Wissenschaft die Mechanik des Karrierismus zu sein. Und die stellt schlicht und einfach fest, dass immer die am unteren Ende der Befehlskette es ausbaden müssen, wenn ein Mord Schlagzeilen macht oder einen politischen Nerv trifft. Die besten Ermittler – die, die am häufigsten unter großem, wenn auch überflüssigem Druck die roten – ungelösten – Fälle in schwarze verwandeln – reagieren mit einem Hauch Weltschmerz und zeigen zugleich einen wohlverdienten elitären Stolz.
Homicide
ist eine Art Tagebuch des Verbrechens, in dem sich Profanes mit Biblischem mischt, und auf jeder Seite ist Simons tiefes Bedürfnis, ja seine Gier spürbar, alles in sich aufzunehmen, zu verarbeiten,
dabei zu sein
und das, was sich vor seinen Augen auftut, der Welt auf der anderen Seite mitzuteilen. Man spürt die Liebe, die er für alles empfindet, dessen Zeuge er ist, den unbedingten Glauben an die Schönheit, die darin besteht, dass alles, was er erlebt, »die Wahrheit« einer Welt ist: So ist es, so läuft das, das und das sagen die Leute hier, so handeln sie, so führen sie sich auf, so grenzen sie sich ab, so rechtfertigen sie sich, da und da kommen sie schlecht weg, so wachsen sie über sich hinaus, überleben, gehen unter.
Simon besitzt ein großes Talent, das Ungeheure kleiner Dinge zu erfassen: die leichte Überraschung in den halb geschlossenen Augen der gerade Getöteten, die unbeschreibliche Poesie einer unlogischen, nachlässigen Aussage, das Ballett der Ziellosigkeit auf der Straße, der unbewusste Tanz von Zorn, Langeweile und Freude. Simon hält die Gesten fest, die kläglichen Falschaussagen, die gesenkten Blicke, die zusammengepressten Lippen. Er schildert die unerwartete Höflichkeit zwischen Gegnern, den schwarzen Humor, der einen angeblich vor dem Irrsinn bewahrt oder menschlich bleiben lässt, oder welche Entschuldigung sonst noch für die Witze auf Kosten von noch nicht erkalteten Mordopfern vorgebracht werden; die atemberaubende Dummheit, die hinter den meisten Tötungsdelikten steckt, die Überlebensstrategien von Menschen, denen es nur noch darum geht, einen weiteren Tag durchzuhalten. Simon zeigt, dass die Straßen Baltimores selbst eine Droge für die Polizei wie für die Gangs (und ab und an auch für einen Berichterstatter) sind. Sie alle sitzen ständig in den Startlöchern für den nächsten unvermeidlichen und doch immer wieder unerwarteten Akt des Dramas, der beide Seiten in Bewegung setzen und dafür sorgen wird, dass die Unschuldigen, die zwischen die Fronten geraten, unter den Fenstern in Deckung gehen oder sich in die vermeintlich kugelsichere Badewanne kauern – die Familie, die sich zusammen duckt, steht zusammen. Und Simon macht immer wieder klar, dass es da draußen nur sehr wenig Schwarz und Weiß, aber verdammt viel Grau gibt.
Homicide
ist ein Kriegsbericht, und das Schlachtfeld erstreckt sich von den heruntergekommenen Reihenhäusern East und West Baltimores bis zu den Fluren des Parlaments von Maryland in Annapolis. Mit nicht geringer Ironie offenbart das Buch, dass die Überlebensspiele auf den Straßen nur ein Spiegel der Überlebensspiele in der Bürokratie sind, dass alle am Drogenkrieg Beteiligten nur auf Zahlen schauen: auf Kilos, Gramm, Pillen, Gewinne hier; Verbrechen, Festnahmen, Aufklärungsquoten und Haushaltskürzungen dort. Es wirft einen kritischen Blick auf die Realpolitik einer Stadt inmitten eines schleichenden Aufruhrs. Simons unerschütterliche Haltung zeigt uns
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