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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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auszugeben, bei all den geliebten Verblichenen, von denen sie sich zu verabschieden hatte. Selbst jetzt noch, in der Zelle, kämpfte Geraldine Parrish mit Zähnen und Klauen um ihren Status als Alleinerbin von Reverend Rayfield Gilliards Geld und Grundbesitz. Der durch die Familie des Reverends angestrengte Zivilprozess ist noch nicht entschieden.
    Der gute Reverend selbst liegt derweil im Schlamm dieses gottverlassenen Abhangs, einem Armenfriedhof am südlichen Stadtrand. Mount Zion, wird er genannt. Ein geweihter Ort, heiliges Land.
    Was für ein Mist, denkt Waltemeyer. Es ist nichts weiter als ein schmaler Streifen feuchter Erde, der von der Hollins Ferry Road abgeht und von einem der größeren Bestattungsinstitute in der Innenstadt betrieben wird. Ein Massengeschäft, das selbst noch aus den billigsten Beerdigungen Profit herausholt. Im Süden grenzt das Gelände an eine Sozialsiedlung, im Norden an die Lansdowne Senior High School. Oben auf dem Hügel, nahe dem Eingang, liegt ein Supermarkt, und unten fließt ein verdreckter Bach. Für zweihundertfünfzig Dollar bekommt der Kunde einen schmucklosen Kasten aus Pressspan und ein einsachtzig tiefes Loch im Lehmboden. Wenn sich keine Angehörigen melden, springt der Bundesstaat Maryland ein, und der Preis sinkt auf zweihundert Dollar. Verdammt, denkt Waltemeyer, Mount Zion sieht nicht mal wie ein Friedhof aus. Nur ganz wenige Grabsteine markieren diese letzte Ruhestätte, auf der offenbar Tausende begraben sind.
    Nein, Geraldine hatte sich für ihren letzten Gatten nicht in Unkosten gestürzt, aber schließlich hatte sie ja auch noch zwei weitere von der Sorte bei sich drüben in der Kennedy Street sitzen. Die jüngste Eroberung der Schwarzen Witwe bekam einen billigen Sarg und weder Gruft noch Grabstein. Trotzdem hatte der Friedhofsverwalter vor etwa einer halben Stunde offenbar problemlos die richtige Stelle ausfindig machen können. Zielsicher war er über die kahle Fläche geschritten.
    »Hier«, hatte er gesagt.
    Reihe 78, Grab 17.
    »Sind Sie sicher, dass unser Mann da liegt?«, fragte Waltemeyer.
    »Ich denke doch.« Der Manager war offenbar überrascht über die Frage. »Wenn wir sie einbuddeln, laufen sie gewöhnlich nicht mehr weg.«
    Wenn dieses Grab also tatsächlich die sterblichen Überreste des achtundsiebzigjährigen Reverend Rayfield Gilliard barg, konnten die Rechtsmediziner in der Penn Street was draus machen. Zwar lag die Leiche seit zehn Monaten unter der Erde, doch falls ihm etwas unter die Nahrung gemischt worden war, ließ sich das immer noch nachweisen. Zwanzig verschreibungspflichtige Valium, zermahlen und in eine Galgenmahlzeit mit Thunfisch gemischt – natürlich, hatte Smialek zu Waltemeyer gesagt, als sie die Exhumierung beschlossen, wenn es das ist, was wir suchen, dann werden wir es auch finden.
    Da Reverend Gilliard nun schon seit Februar unter der Erde lag, fragte sich Waltemeyer allerdings, was von ihm noch übrig sein würde. Der Friedhofsverwalter hatte ihm erklärt, im Winter würden die Toten zunächst einmal im Boden einfrieren und sich daher langsamer zersetzen als Leichen, die im Sommer bestattet werden. Das erschien dem Detective logisch, aber wer möchte über so etwas schon gerne nachdenken? Jedenfalls nicht Waltemeyer. Und so hatte er zwar eine gewisse Schadenfreude verspürt, als er sah, wie Cohen sich wand, doch im Stillen musste er sich eingestehen: Das Ganze ging auch ihm an die Nieren.
    Du findest eine Leiche auf der Straße und stellst fest, es handelt sich um Mord. Darauf zeichnest du eine Skizze, schießt ein Foto, leerst ihre Taschen und drehst sie um. In diesem Augenblick und in den nächsten paar Stunden gehört sie ganz allein dir, sodass du ein paar Jahre später nicht mehr an sie denkst. Ist sie aber begraben und hat ein Pfarrer sein Sprüchlein gesagt, sieht die Sache anders aus. Obwohl das nur ein schmutziger Gottesacker und die Exhumierung für die Ermittlungen notwendig ist, bezweifelt Waltemeyer doch sein Recht, einen Toten in seiner letzten Ruhe zu stören.
    Die Kollegen reagierten auf seine Skrupel natürlich mit all der warmen Anteilnahme, für die die Cops aus Baltimore bekannt sind und bewundert werden. Während des Morgenappells hatten sie ihm nichts erspart. Mensch, Waltemeyer, bist du jetzt durchgeknallt? Haben wir indieser beschissenen Stadt nicht schon Morde genug, dass du dich wie der verdammte Frankenstein auf den Friedhof schleichen und Leichen ausbuddeln musst?
    Waltemeyer wusste, dass

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