Homicide
Fakten zu notieren, wobei er jedes Wort laut nachspricht: »Krankenhausarmband … Eugene … Dale … schwarz … männlich.«
Na toll.
»Und das hat keiner bemerkt? Erst jetzt, nach der Autopsie?«, fragt der Detective.
Wirklich toll.
Waltemeyer legt auf und gönnt sich eine halbe Minute, ehe er einen Hausanschluss wählt.
»Captain?«
»Ja«, antwortet die Stimme in der Leitung.
»Sir, hier spricht Waltemeyer.« Der Detective hat noch immer die Finger an der Nasenwurzel. »Captain, ich hoffe Sie sitzen.«
»Warum?«
»Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht.«
»Zuerst die gute.«
»Die Autopsie war erfolgreich.«
»Und die schlechte?«
»Wir haben den Falschen ausgegraben.«
»Das ist nicht Ihr Ernst!«
»Leider doch.«
»Ach du meine Güte!«
Eugene Dale. Ein armer Kerl, der das Pech hatte, etwa zur gleichen Zeit wie Reverend Gillard auf diesem Armenfriedhof unter die Erde gebracht zu werden. Jetzt liegt er auf einer Rollbahre in der Penn Street, nicht mehr ganz so frisch wie am Morgen. Ein Detective des Morddezernats lässt sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen, aber wenn er einen unschuldigen Toten in seiner letzten Ruhe stört, ist für Waltemeyer eine Grenze erreicht. Hat dieser Dale Verwandte? Und warum kommt ihm der Name so bekannt vor?
»Ihr habt den Falschen ausgegraben?«, fragt ein Detective aus Stantons Schicht, der Überstunden macht, um seinen Auftritt bei Gericht vorzubereiten. »Wer ist es?«
»Ein armer Teufel namens Eugene Dale.«
»Eugene Dale?«
»Ja.«
»D – A – L – E?«
Waltemeyer nickt. Der andere zeigt auf die Tafel und weist auf die letzten beiden Namen in Roger Nolans Spalte. »Edgerton hat einen Verdächtigen, der so heißt.«
»Wen?«
»Eugene Dale.«
»Das ist wer?« Waltemeyer blickt nicht ganz durch.
»Der Typ, den Edgerton für den Mord an dem kleinen Mädchen eingesperrt hat«, erklärt der Detective. »Der Name ist jedenfalls der gleiche.«
Waltemeyer studiert die Tafel. »Eugene Dale«, steht da in schwarzen Buchstaben. »Da hol mich der Teufel.«
»Wo ist Edgerton?«, fragt der andere Detective.
»Hat heute frei.« Waltemeyer denkt nach. Ist es wirklich so wichtig, wen wir da heute ausgegraben haben? Dass es nicht Rayfield Gilliard ist, wissen wir bereits. Reglos hört er zu, wie der andere Detective Edgerton anruft und ohne große Umstände zur Sache kommt.
»Harry, wie war noch mal der ganze Name von dem Typ? Heißt der nicht Eugene Dale junior? Oder Eugene Dale der Dritte oder so was?«
Als der Detective Edgertons Antwort hört, nickt er. Ohne etwas zu verstehen, kann sich Waltemeyer vorstellen, wie verwirrt sein Kollege sein muss.
»Und der Vater ist kürzlich verstorben? … Ja, Februar oder so … Mensch, stimmt … Stell dir vor, Harry … Du wirst es nicht glauben, aber Waltemeyer hat gerade den Vater deines Verdächtigen ausgegraben und ihn von der Rechtsmedizin aufschneiden lassen … Nein, das ist kein Witz.«
Jetzt reicht’s, denkt Waltemeyer und stapft nach draußen. Ich habe keine Lust, mir diesen Schwachsinn anzuhören. Egal, ob Edgerton jetzt am Telefon ist, sich die ganze Geschichte dieses bizarren Zufalls beschreibenlässt und sich ausmalt, wie er wieder einmal zum Stadtgefängnis fährt. Egal, ob Edgerton überlegt, wie er dem jungen Dale erklärt, dass die Polizei von Baltimore seinen Vater aus dem Grab geholt und an ihm herumgeschnippelt hat, weil er, der Sohn, ein Mädchen ermordet hat und die Tat nicht zugeben will. Es ist ihm egal, dass Stantons Detective beim Schichtwechsel zu Mark Tomlin laufen und ihm von Waltemeyers Erlebnis berichten wird, sodass Tomlin wieder einmal eine seiner Karikaturen zeichnen kann, mit denen er die Wände des Kaffeeraums schmückt. Nein, das alles geht Waltemeyer am Arsch vorbei.
Denn Waltemeyer findet es gar nicht komisch.
Er lässt den anderen allein am Telefon mit Edgerton fertig werden, nimmt sich einen Cavalier und fährt zurück nach Mount Zion.
»Sie sind ja schon wieder da«, sagt einer der Totengräber am Eingang Hollins Ferry.
»Wie Sie sehen«, sagt Waltemeyer. »Wo finde ich Mr. Brown?«
»Im Büro.«
Waltemeyer überquert die Schotterstraße und geht zu dem einräumigen Häuschen der Friedhofsverwaltung. Der Manager ist gerade im Aufbruch und kommt ihm auf halbem Weg entgegen.
»Ich muss ein ernstes Wort mit Ihnen reden«, sagt Waltemeyer, den Blick auf den Boden gerichtet.
»Worum geht’s denn?«
»Um den Toten, den Sie heute morgen ausgegraben
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