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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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haben …«
    »Was ist mit ihm?«
    »Es war der Falsche.«
    Der Friedhofsverwalter lässt sich nicht so leicht aus der Fassung bringen. »Der Falsche? Woher wollen Sie das wissen?«
    Am liebsten würde sich Waltemeyer den Kerl packen und ihm an die Gurgel gehen. Woher wir das wissen? Offenbar denkt er, nach zehn Monaten in der Erde ist eine Männerleiche so gut wie die andere. Jedenfalls, solange da nicht jemand im Kleid liegt, wenn man den Deckel aufstemmt.
    »Weil er noch einen Namensanhänger vom Krankhaus trägt«, erwidert Waltemeyer, mühsam um Beherrschung ringend. »Und da steht nicht Rayfield Gilliard drauf, sondern Eugene Dale.«
    »Mein Gott.« Der Manager schüttelt den Kopf.
    »Gehen wir rein und schauen in Ihren Unterlagen nach, wenn Sie welche haben.« Waltemeyer folgt dem Mann in die Baracke. Der nimmt drei Stapel mit Karteikarten aus einer Metallschublade – Begräbnisse vom Januar, Februar und März – und beginnt zu blättern.
    »Wie war der Name noch mal?«
    »Dale. D – A – L – E.«
    »Im Februar nicht«, sagt der Manager. Dann nimmt er sich den März vor und stockt bei der vierten Karte. Eugene Dale. Verstorben am 4. März. Begraben am 14. März in Abschnitt DD, Reihe 83, Grab 11. Waltemeyer schnappt sich den Stapel vom Februar und sucht die Karte von Reverend Gilliard heraus. Verstorben am 2. Februar. Begraben am 8. Februar in Abschnitt DD, Reihe 78, Grab 17. Also auch nicht annähernd in der Nähe. Waltemeyer fasst den Manager scharf ins Auge.
    »Sie haben sich um fünf Reihen geirrt.«
    »Anscheinend liegt er nicht im richtigen Grab.«
    »Das ist mir inzwischen bekannt.« Waltemeyer wird jetzt lauter.
    »Ich meine, er liegt im richtigen Grab, aber nicht da, wo er sollte.«
    Waltemeyer starrt wieder auf seine Füße.
    »Ich hatte an diesem Tag dienstfrei«, sagt der Alte. »Da hat jemand anders Mist gebaut.«
    »Jemand anders?«
    »Ja.«
    »Wenn wir da graben, wo eigentlich Eugene Dale liegen sollte, glauben Sie, wir finden dort Gilliard?«
    »Kann sein.«
    »Wie? Zwischen den beiden Begräbnissen liegt ein Monat.«
    »Nun ja, vielleicht auch nicht«, gibt der Manager zu.
    Waltemeyer nimmt sich wieder die Karteikarten vor und sieht sie durch. Er sucht nach Bestattungen in zeitlicher Nähe zum 8. Februar. Zu seinem Erstaunen kommen ihm die Namen, die er liest, seltsam bekannt vor. Jeder zweite scheint sich mit einem ihrer Tagesberichte zu decken.
    Wie James Brown, Gilberts Fall, ein Junge, der am Neujahrstag erstochen wurde. Oder Barney Erely, der alte Säufer, den Pellegrini ein paar Wochen nach dem Mord an Latonya Wallace irgendwo an der ClayStreet fand und den man erschlug, weil er sich den falschen Platz zum Kacken ausgesucht hatte. Und hier Orlando Felton, der Verweste aus der North Calvert Street, die Überdosis, die McAllister und McLarney im Januar bearbeitet hatten. Und Kellers Drogenmord aus dem März, der Junge mit dem unwahrscheinlichen Nachnamen Ireland, der mit seinen Geschäften in der East Side eimerweise Geld gescheffelt hatte. Mein Gott, all die Knete, und seine Angehörigen verbuddeln ihn auf dem Armenfriedhof! Dunnigans Drogenmord aus der Siedlung Lafayette Court … Die drei kleinen Kinder, die bei Steinhices Brandstiftung ums Leben kamen … Eddie Browns Todesschüsse aus der Vine Street. Schmunzelnd, aber auch ein bisschen ehrfürchtig, liest Waltemeyer die Namen. Dies hier war Dave Browns Fall, das hier der von Shea, und den hat Tomlin bearbeitet …
    »Sie haben keine Ahnung, wo er liegt.« Waltemeyer gibt die Karteikarten zurück. »Stimmt’s, Mr. Brown?«
    »Nein. Jedenfalls nicht im Augenblick.«
    »Kann ich mir denken.«
    Waltemeyer ist inzwischen so weit, den Fall verloren und den guten Reverend Gilliard aufzugeben, wenn da nicht die Rechtsmedizin wäre, die auf ihrer Leiche beharrt. Schließlich geht es möglicherweise um ein Gewaltverbrechen und eine vom Bezirksgericht Baltimore angeordnete Exhumierung. Damit ist Mount Zion auch verpflichtet, den Toten zu finden.
    Drei Wochen später versuchen sie es erneut und wühlen sich sechs Reihen hinter dem Grab, in dem Eugene Dale auf Kosten des Bundesstaats in einem besseren Sarg als dem auf richterliche Anordnung zerstörten zur letzten Ruhe gebettet wurde, in den Schlamm. Dieses Mal fragt Waltemeyer lieber nicht, warum sich der Verwalter seines Systems so sicher ist, denn inzwischen bezweifelt er, dass es überhaupt eins gibt. Die gleichen Totengräber wie damals benutzen den gleichen kleinen Schaufelbagger,

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