Homicide
das Geld, sauste wie ein Blitz davon und wurde ein Stück weiter unten an der Straße von einem wütenden Mitspieler erschossen.
»Als wir die Zeugen im Präsidium verhören, erzählen die uns, Snot Boogie hat das immer so gemacht. Ist ins Spiel eingestiegen und dann mit dem Pot abgehauen. Irgendwann hatten sie einfach die Nase voll …«
Brown schweigt, während er ihren Wagen lenkt. Er kann dem Ablauf der Ereignisse nicht so ganz folgen.
»Darauf habe ich einen von ihnen gefragt, warum, habe ich gefragt, warum habt ihr Snot Boogie immer mitspielen lassen, wenn er ständig versuchte, mit eurem Geld abzuhauen?«
McLarney macht eine Kunstpause.
»Und?«, fragt Brown.
»Da sieht er mich an, als wäre ich nicht ganz dicht«, erwidert McLarney, »und sagt, man muss ihn doch mitspielen lassen … Wir sind hier schließlich in Amerika.«
Brown lacht auf.
»Mir gefällt das«, meint McLarney.
»Tolle Geschichte. Ist es wirklich passiert?«
»Aber sicher.«
Brown lacht noch immer. McLarneys Stimmung ist ansteckend, obwohl ihre Chancen auf Erfolg bei diesem Ausflug schlecht stehen.
»Ich glaube nicht, dass sie heute draußen ist«, sagt Brown, als sie zum fünften oder sechsten Mal die Pennsylvania Avenue hinunterrollen.
»Sie ist nie draußen«, entgegnet McLarney.
»Zur Hölle mit dieser Schwanzlutscherin.« Brown schlägt mit der flachen Hand aufs Lenkrad. »Allmählich habe ich genug von diesem Scheiß.«
McLarney betrachtet seinen Detective mit neu erwachter Freude. Fast fühlt er sich versucht, ihn in seinem ungewohnten Ausbruch zu unterstützen.
»Ich meine, wir sind Cops vom Morddezernat. Bestens ausgebildet, die Elite der Polizei. Wir schnappen sie alle …«
»Vorsicht«, mahnt McLarney, »sonst kriege ich noch einen Ständer.«
»Scheiße, und wer ist sie? Ein Zwanzig-Dollar-Fick, ein Junkie mit Tripper, eine Nutte auf der Pennsylvania Avenue! Und so eine geht uns seit drei Monaten immer wieder durch die Lappen. Ist doch verdammt peinlich, oder …?«
Lenore, die Phantomhure. Die einzige Zeugin von Wordens Messerstecherei auf der Pennsylvania Avenue im letzten September, die Frau, mit der sie die Akte schließen können, sobald sie zu Protokoll gibt, dass ihr inzwischen verstorbener Freund ihren damaligen Freund im Streit um ihre Gunst erstochen hat. Brown und Worden und den anderen im Team ist es inzwischen ziemlich peinlich, jede zweite Nacht die Pennsylvania Avenue rauf und runter zu gurken und Nutten und Süchtige hochzunehmen, ohne der schwer fassbaren Miss Nore auch nur einen Schritt näher zu kommen. Sie ist offenbar stets da, wo die Detectives nicht sind. Inzwischen kennen sie jede Ausrede:
»Gestern Abend war sie draußen auf dem Strich.«
»Nore? Die habe ich doch gerade vor Kurzem auf der Division Street gesehen …«
»Sie ist aus dem Laden gekommen und da langgegangen …«
Herr im Himmel, denkt Brown. Als wäre es nicht schon schlimm genug, dass diese Junkieschnepfe keinen festen Wohnsitz hat. Nein, sie streicht auch noch herum wie der Wind. Wie, zur Hölle, finden ihre Freier sie eigentlich?
»Vielleicht ist sie gar nicht aus Fleisch und Blut«, sinniert McLarney. »Vielleicht ist sie nur eine Illusion und eine Erfindung der Ganoven und Gangster hier in der Gegend. So quasi als Test, um zu sehen, wie lange wir durch die Straßen fahren und nach ihr suchen.«
McLarney grinst. Irgendwie erwärmt er sich für die Vorstellung einer Zwanzig-Dollar-Schwanzlutscherin, die alle Naturgesetze außer Kraft setzt. Ein durchscheinendes Wesen, das durch die Straßen Baltimores schwebt, ohne dass ihr die Ordnungshüter etwas anhaben können. Wenn ihr irgendjemand zwanzig Dollar zahlt, wird sie real, doch für eine ganze Generation von Mordermittlern ist sie nichts als ein Traum und dazu ausersehen, als Beitrag Baltimores in den Hausschatz amerikanischer Folklore einzugehen: Paul Bunyan, der kopflose Reiter aus Tarrytown, das Geisterschiff Mary Celeste, Lenore, die Phantomhure.
»Aber wieso hat James dann ihr Vorstrafenregister in der Schublade?«, wendet Brown ein. »Und warum habe ich ihr Erkennungsdienstfoto in der Tasche?«
»Weil sie uns richtig verarscht.«
»Zum Teufel mit der Schlampe«, flucht Brown, der seinen Ärger nicht loswerden kann. »Die ist nicht hier.«
»Was soll’s«, meint Mclarney. »Fahren wir noch einmal um den Block und lassen es dann gut sein.«
Natürlich können sie damit leben, wenn sie die Frau nicht finden. Doch McLarney fährt so gern raus auf die
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