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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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alle Fälle mau aus, wenn man gerade am Tatort eintrifft.
    »Vielleicht kriegen Sie in diesem Fall einen Tipp«, meint ein Uniformierter vom Western.
    »Vielleicht«, erwidert Garvey entgegenkommend.
    Mit dieser Hoffnung stehen McAllister und er eine Stunde später im Wohnzimmer eines Reihenhauses, in dem sich die Hinterbliebenen drängen. Die Mutter des Opfers, die Brüder und Schwestern, Cousins und Cousinen haben sich an den Wänden aufgereiht, während die Detectives in der Mitte stehen und eine gewisse Zentripetalkraft ausüben.
    In der trockenen Wärme des übervollen Zimmers beginnt McAllister mit seinen Standardausführungen und schildert, was von der Familie in diesem schmerzlichen Augenblick erwartet wird und was nicht. Garvey staunt jedes Mal aufs Neue über Macs geschickten Umgang mit den Angehörigen. Den Kopf leicht geneigt, die Hände über dem Bauch gefaltet, verkörpert er einen Gemeindepfarrer, der in langsamen, gemessen Worten sein tief empfundenes Mitgefühl ausdrückt. Mac neigt in Augenblicken der Anspannung zu leichtem, sympathischem Stottern, was ihn in Momenten wie diesem ein wenig verletzlich wirken lässt. Als er sich Stunden zuvor über den Toten gebeugt hatte, war McAllister mit seinen Witzen nicht weniger zimperlich gewesen als alle anderen auch. Aber jetzt, mit der Mutter des Toten, ist er ganz Trauer und Mitgefühl. Ein öliger Talkshowmoderator im Trenchcoat.
    »Es besteht wirklich kein Grund für Sie, ins Rechtsmedizinische Institut zu fahren. Selbst wenn es Ihr Wunsch wäre, würde man sie dort nicht reinlassen …«
    »Wo nicht?«, fragt die Mutter.
    »In der Rechtsmedizin«, antwortet McAllister langsam. »Machen Sie sich darüber keine Sorgen. Wählen Sie einfach ein Bestattungsinstitut und sagen sie den Leuten dort, dass der Tote in der Rechtsmedizin Ecke Penn und Lombard liegt. Dann wissen sie schon, was zu tun ist. Ist soweit alles klar?«
    Die Mutter nickt.
    »Wir versuchen in der Zwischenzeit herauszufinden, wer es getan hat. Dazu brauchen wir allerdings auch die Mithilfe der Angehörigen … Und darum wollten wir Sie jetzt bitten …«
    Die Vertretertour. McAllister in seiner Glanzrolle. Wir können ihn zwar nicht wieder lebendig machen, aber wir können den zur Rechenschaft ziehen, der es getan hat. Was bleibt der Mutter nach diesem Monolog anderes, als zustimmend zu nicken? Garvey beobachtet die Anwesenden, wie sie die Geschichte aufnehmen, ob ein kleiner Hinweis von Unwohlsein eines Familienmitglieds verrät, dass er oder sie etwas weiß. Die jungen Männer und Frauen wirken zwar distanziert und gedankenversunken, aber einige nehmen die Visitenkarten entgegen und versprechen anzurufen, wenn sie in ihrem Viertel irgendwas aufschnappen sollten.
    »Bitte seien Sie noch einmal unseres tiefen Mitgefühls für Ihren schweren Verlust versichert«, sagt McAllister, als er sich zur Tür wendet.
    Garvey betrachtet die ausdrucklosen Gesichter der Versammelten. Mutter, Brüder, Schwestern, Cousinen und Cousins, Freunde – keiner von ihnen scheint sich den Mord erklären zu können. Und wahrscheinlich werden sie in diesem Fall auch keinen hilfreichen Anruf bekommen, gesteht er sich ein.
    »Noch einmal, bitte zögern Sie nicht, uns anzurufen, wenn Sie Fragen haben oder irgendwelche Informationen«, sagt McAllister, um zum Schluss zu kommen.
    Garvey bewegt sich zur Haustür und geht als Erster nach draußen. Als sie auf den Eingangsstufen stehen, wendet sich Garvey zu seinem Partner um. Er will McAllister gerade erklären, warum er bei dieser aussichtslosen Kampagne die Ermittlungen leiten soll, doch dazu kommt es nicht, weil er hinter Mac einen jungen Mann stehen sieht, einen Cousin des Opfers, der sie verstohlen zur Tür begleitet hat.
    »Entschuldigen Sie, Officer …«
    Jetzt dreht sich auch McAllister um, was es dem Cousin offenbar nicht leichter macht. Der junge Mann möchte etwas sagen, und er möchte nicht abgewiesen werden.
    »Entschuldigen Sie.« Seine Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern.
    »Ja?«, fragt Garvey.
    »Kann ich … ehem …«
    Und hier ist er, denkt Garvey. Hier kommt der Augenblick, in dem ein trauernder Angehöriger aus dem Kreis der Familie heraustritt und tapfer ein Quäntchen Wahrheit enthüllt. Der Cousin streckt die Handaus, und McAllister ergreift sie als Erster. Garvey folgt seinem Beispiel und sonnt sich schon in dem Bewusstsein, auserkoren zu sein, die Realitäten irgendwie überwunden zu haben und zum Rächer der Ghettomorde zu werden.
    »Kann ich

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