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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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in einer beschissenen Zelle sitzt.«
    »Was haben Sie getan?«, fragt Cassidy grinsend.
    »Gar nichts, verdammt! Wer sind Sie?«
    »Gene Cassidy. Ich habe früher hier gearbeitet.«
    »Dann soll Sie der Teufel holen!«
    Gene Cassidy lacht laut auf. Für einen kurzen Moment war für ihn noch einmal alles wie früher.
    Donnerstag, 15. Dezember
    Im Kreis verteilen sie sich in ihren blauen Uniformen im gefliesten Raum. Ihre Gesichter sind weich und ohne Spuren, und sie sind vielleicht neunzehn, zwanzig, höchstens zweiundzwanzig. Und voller Begeisterung, die Unschuld noch intakt. Protect and Serve – Schützen und Dienen – ist der Leitsatz, dem sie sich in der klaren Weite ihrer Träume verpflichtet fühlen. Es sind Kadetten, eine ganze Klasse aus dem nahe gelegenen County Anne Arundel. Fünfundzwanzig zukünftige Cops, geschniegelt und gestriegelt für diesen Ausflug aus dem Unterrichtsraum der Polizeiakademie in den innersten Kreis der Hölle.
    »Hat es Ihnen soweit gefallen?«, fragt Rick James in die Runde. Die im Autopsieraum aufgereihten jungen Männer und Frauen lachen nervös. Einige sehen hin, einige sehen angestrengt fort, und einige können offenbar nicht glauben, was sie sehen.
    »Sind Sie Detective?«, fragt ein Junge aus der ersten Reihe.
    James nickt.
    »Morddezernat?«
    »Ja. Baltimore City.«
    »Liegt hier auch ein Fall von Ihnen?«
    Nein, denkt James, ich komme nur so zum Spaß jeden Morgen hier in den Autopsiesaal. Mir gefällt es einfach hier – was man so zu sehen bekommt, diese Geräusche und die Atmosphäre. Doch er widersteht der Versuchung, mit der Klasse Späßchen zu treiben.
    »Ja«, sagt er. »Einer ist von mir.«
    »Welcher?«, fragt der Junge.
    »Liegt draußen im Flur.«
    Ein Helfer, der gerade eine Leiche fertig macht, sieht auf. »Welchen brauchen Sie, Rick?«
    »Den Kleinen.«
    Der Helfer steckt den Kopf durch die Tür, um im Flur nachzusehen, dann wendet er sich wieder seiner Arbeit zu. »Wir nehmen ihn als Nächsten dran. Okay? »
    »Wunderbar.«
    James geht zwischen zwei geöffneten Leichen hindurch, um Ann Dixon zu begrüßen, die stellvertretende Leiterin der Rechtsmedizin. Dixie hat bei den Mordermittlern der Stadt und der Umgebung einen legendären Ruf: Sie hat zwar einen etwas versnobten britischen Akzent, doch sie denkt wie ein amerikanischer Detective. Und das bedeutet nicht nur, dass sie im Cher’s oder Kavanaugh’s locker mithalten kann. Wenn man im Bundesstaat Maryland eine Leiche obduziert haben will, gibt es dafür keine Bessere als Dixie.
    »Dr. Dixon, wie geht es Ihnen an diesem wunderbaren Morgen?«
    »Danke, bestens«. Die Ärztin steht am Seziertisch.
    »Was haben Sie heute vor?«
    In der einen Hand ein Messer mit einer langen Klinge, in der anderen einen Messerschärfer, wendet sich Dixie zu ihm um. »Sie kennen mich doch«, sagt sie während sie Metall an Metall wetzt. »Bin auf der Suche nach dem Mann fürs Leben.«
    James grinst und geht in das hintere Büro, um sich einen Kaffee zu holen. Als er zurückkommt, steht die Rollbahre mit seinem Opfer in der Mitte des Autopsieraums für ihn bereit. Nackt und steif liegt die Leiche auf dem Tisch.
    »Ich sag Ihnen eins«, meint der Helfer, als er das Skalpell ansetzt. »Lieber würde ich jetzt den Schweinehund aufschlitzen, der das getan hat.«
    James betrachtet die Klasse der Polizeikadetten, die sämtlich erschrockene und erstarrte Gesichter zeigen. Nach einer halben Stunde im Autopsieraum meinten sie wohl, sie seien bereit und hätten sich an den Anblick, an die Gerüche und die Geräusche der Penn Street gewöhnt. Doch als dann die Messerwetzer das Opfer aus dem Kühlfach herbeirollen, merken sie, dass sie noch lange nicht soweit sind. James sieht, dass einige die Augen abwenden und andere zwar hinsehen, aber ihr Entsetzen nicht im Zaum halten können. Eine junge Kadettin in einer Ecke versteckt das Gesicht hinter dem Rücken eines größeren Kollegen. Offenbar hat sie nicht vor, auch nur noch einen Blick zu riskieren.
    Was nicht weiter verwunderlich ist. Die Leiche ist kaum mehr als eine kleines braunes Inselchen in einem Meer aus Edelstahl, ein Kinderkörper mit feinen Händchen, die Finger heischend hochgestreckt.Ein Zweijähriger, totgeprügelt vom Freund der Mutter, der es fertigbrachte, den geschwollenen, leblosen Körper anzukleiden und in die Notaufnahme von Bon Secours zu bringen.
    »Wie ist das passiert?«, fragten die Krankenhausärzte.
    »Hat in der Badewanne gespielt und ist ausgerutscht.«
    Der

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