Homicide
drei Wiesel miteinander zu abzugleichen. Er hatte eigentlich auf eine ruhige Nacht gehofft, vielleicht sogar auf die Gelegenheit, nach Schichtwechsel mit Pellegrini noch ein Bier zu trinken. Doch jetzt haben sie volles Haus: Einer sitzt im großen Vernehmungsraum, einer im kleinen, und der auf dem Sofa im Aquarium wartet noch darauf, an die Reihe zu kommen. So wie es Landsman scheint, hat jeder ein schlechteres Gewissen als der andere.
Ein paar Blätter mit Aussagenotizen in der Hand, kommt Donald Kincaid aus dem großen Vernehmungsraum. Er schließt die Tür, ehe er sich an Landsman wendet.
»Sieht so aus, als wollte er uns helfen«, sagt Kincaid.
»Glaubst du wirklich?«
»Bis jetzt, ja.«
»Ich finde ihn viel zu hilfsbereit«, meint Landsman. »Ich glaube, der Hund pisst uns voll und will uns weismachen, dass es regnet.«
Kincaid grinst. Der war gut, Jay.
»Also, unser Kumpel auf der Couch will den anderen offenbar reinreiten, meinst du nicht?«, sagt Kincaid. »Er hatte das größte Interesse an der Frau. Aber vielleicht hat sie ihm auch eine Abfuhr erteilt.«
Landsman nickt.
Die Frau selbst sagt nichts mehr. Sie wurde in einer Männertoilette in der Reinigungsmittelfabrik der Lever Brothers drüben am BroeningHighway aufgeschlitzt. Zahllose Verletzungen, was für eine Beziehungstat spricht. Das wäre jedoch zu einfach, zumal der Ehemann des Opfers rasch aus dem Schneider ist: Er wartete unten auf dem Parkplatz in seinem Auto, um seine Frau von der Schicht abzuholen, und hörte Radio. Dort findet ihn der Wachschutz der Fabrik, nachdem die Leiche entdeckt worden ist.
Den Ehemann, denkt Landsman, können wir also streichen. Sehen wir mal, was wir sonst noch auf der Liste haben. Einen Liebhaber? Einen Verflossenen? Einen Möchtegernliebhaber? Sie war jung und hübsch, und dass sie seit einem Jahr verheiratet war, musste nicht viel heißen. Sie konnte in der Fabrik immer noch ein Verhältnis gehabt haben. Vielleicht war die Sache aus dem Ruder gelaufen.
»Ich meine, was hatte sie überhaupt im Männerklo zu suchen?«, überlegt Kincaid. »Du weißt, was ich meine?«
»Natürlich«, erwidert Landsman. »Das habe ich mich auch schon gefragt.
Landsman blickt in den großen Vernehmungsraum, wo Chris Graul Wiesel Nummer eins gegenübersitzt und sich Notizen macht, während er sich sein Gesülze zum wiederholten Mal anhört. Graul ist der Neue in Landsmans Team. Er kommt aus dem Betrugsdezernat und ersetzt Fahlteich, der jetzt schon seit einigen Monaten im Dezernat Sexualdelikte Dienst tut. Graul wollte die Arbeit des Morddezernats kennenlernen, nachdem er zwei Jahre lang Scheckbetrügern nachgejagt war, während Fahlteich nach sechs Jahren in Landsmans Team meinte, genug Morde für sein Leben gesehen zu haben. Mit den festen Arbeitszeiten von neun bis fünf und den freien Wochenenden war die Abteilung Vergewaltigung für Fahlteich fast so etwas wie Rente mit vollem Gehalt.
Landsman beobachtete seinen neuen Detective durch das Maschendrahtfenster. Graul für Fahlteich, Vernon Holley für Fred Ceruti – ein Jahr der Veränderungen für sein Team. Er hatte jedoch keinen Grund zu klagen. Nach vielen Dienstjahren im Raubdezernat war Holley ein alter Hase und betreute seine Fälle schon jetzt allein. Mit Graul hatten sie ebenfalls einen guten Griff getan. Landsman ging allerdings davon aus, dass er bei der erstbesten Gelegenheit in Stantons Einheit überwechseln würde, weil er mit dem Lieutenant seit ihrer gemeinsamenZeit im Drogendezernat befreundet war. Wenn es dazu kam, würde ihn Landsman bei Stanton immerhin gegen einen guten Detective eintauschen können.
Verdächtige, Opfer, Detectives – die Spieler wechseln, aber die Maschinerie stottert und rattert voran. D’Addarios Teams hatten es geschafft, ihre Aufklärungsquote weiter zu steigern, und inzwischen mit der zweiten Schicht gleichgezogen. Das Dezernat als Ganzes vermeldete stolze 72 Prozent und lag damit leicht über dem Landesdurchschnitt. Alle Klagen vom Anfang des Jahres, die ganze Aufregung um die Überstundendeckelung, um die Frauenmorde im Northwestern und den sich hartnäckig gegen Aufklärung wehrenden Fall Latonya Wallace waren gegen Jahresende in den Hintergrund gerückt. Irgendwie brachten sie es im Dezember doch immer wieder auf die Zahlen, die sie brauchten.
Landsman hat daran großen Anteil: Die Quote seines Teams liegt bei über 75 Prozent und ist damit die höchste in D’Addarios Schicht, während Nolans und McLarneys Männer im
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