Homicide
niemanden zu schlagen, der Handschellen trägt oder sich aus anderen Gründen nicht wehren kann, und keiner von ihnen wird tätlich, um eine Aussage zu bekommen, oder prügelt jemanden, der es nicht wirklich verdient hat. Gewalt bei der Polizei? Wie lachhaft. Polizeiarbeit ist schon immer mit Gewalt verbunden gewesen; ein guter Polizist erledigt das so diskret, dass es niemand merkt.
Vor einem Jahr hatte Jay Landsman im gleichen Vernehmungsraum die Aufsicht in einem Fall von tätlichem Angriff auf einen Polizisten in Fells Point. Ein Trupp betrunkener Randalierer hatte einen Streifenbeamten vom Southeastern mit einem Metallrohr attackiert und um ein Haar erschlagen.
»Und jetzt«, sagte Landsman, als er den größten Schläger in den Raum führte, »werde ich dir erst mal die Handschellen abnehmen. Ich bin kein harter Busche, aber du bist nur ein kleines, feiges Arschloch. Sollte doch kein Problem für dich sein, oder?«
Landsman schloss die Handschellen auf, und der Verdächtige rieb sich die Handgelenke.
»Siehst du? Ich wusste doch, dass du nur ein kleines, feiges Arschloch bist …«
Der Kerl fuhr hoch und versetzte ihm einen wilden Roundhouse-Kick, der den Kopf des Sergeant streifte, worauf ihn Landsman nach Strich und Faden zusammenschlug. Zur Erinnerung machte er ein Polaroid des blutig Zugerichteten, das er in seiner Schreibtischschublade aufbewahrte. Als er aus dem Vernehmungsraum kam, erschien der aufsichtsführende Officer am anderen Ende des Flurs.
»Verdammt, was ist hier los?«
Landsman zuckte die Achseln. »Der Mistkerl hat mich angegriffen.«
Das Gleiche könnte James jetzt auch sagen: Dieser Hund hat sich an einem Zweijährigen vergangen und ihn umgebracht. Als er mich angegriffen hat, habe ich es ihm heimgezahlt. Ende des Berichts.
»Nur los«, sagt der Uniformierte. »Ich halte Ihnen den Rücken frei. Verdammt, wie gerne würde ich mir das ansehen!«
James dreht sich um. Er mustert den Uniformierten, überlegt, gibt den Gedanken dann aber mit einem unbeholfenen und leicht verlegenen Lächeln wieder auf. Es wäre sicher eine Genugtuung, dem Jungen die Handschellen abzunehmen und ihm ordentlich wehzutun. Ohne Handschellen hätte er immerhin noch die Chance, sich zu wehren, anders als der kleine Michael. Irgendwie verlangte das Gerechtigkeitsgefühl nach mehr als dem Urteil »lebenslänglich«, das auf Alvin Clement Richardson wartete, das Gerechtigkeitsgefühl verlangt, dass sich der Schweinehund schreiend und hilflos auf dem Boden windet, während Schläge auf ihn einprasseln.
Aber was dann? Wenn dieser Sadist als blutiger Haufen im Vernehmungsraum zurückblieb, was wäre dann mit Rick James? Das Kind war tot. Nichts konnte es wieder zum Leben erwecken. Und die Mutter? Ihrem Verhalten während der Befragung am frühen Morgen nach zu urteilen, schien es ihr herzlich egal zu sein. Es war Mord, hatten sie ihr erklärt. Er hat den kleinen Jungen so schwer geschlagen, dass die Ärzte meinen, man könnte es nur mit einem Autounfall vergleichen. Er hat Ihr Kind umgebracht.
»Ich glaube nicht, dass er so was macht«, erwiderte sie. »Er hat Michael lieb.«
James könnte ihn schlagen, aber was hätte er damit gewonnen? Seelenfrieden? Seinen Rachedurst gestillt? Alvin Richardson ist ein brutaler Sadist in einer Stadt voller brutaler Sadisten, und selbst ein Verbrechen wie dieses ist nichts Ungewöhnliches. Keller und Crutchfield hatten erst im August den Fall eines zweijährigen Mädchens, das erstickt worden war, und Shea und Hagin im gleichen Monat den eines absichtlich vom Babysitter verbrühten einjährigen Kleinkinds. Und Hollingsworth bearbeitete im September den Fall eines neun Monate alten, von seiner Mutter erwürgten Babys.
Nein, denkt James. Ich könnte diesen Wichser halb tot schlagen undihn dann in der Krankenstation des Stadtgefängnisses abliefern, aber das würde nichts ändern. Am Montag bin ich wieder zurück auf der Arbeit und starre durch das Maschendrahtfenster auf einen anderen Soziopathen. James lächelt den Streifenbeamten noch einmal an. Dann schüttelt er den Kopf und kehrt ins Hauptbüro zurück.
»Eddie Brown«, sagt er auf dem Weg zur Kaffeemaschine, »könntest du diesen Kerl zum Pinkeln bringen? Bei mir besteht die Gefahr, dass ich ihn zu Brei schlage.«
Brown nickt. Er geht zu den Postfächern und nimmt den Schlüssel zum Vernehmungsraum vom Haken.
Dienstag, 20. Dezember
Jay Landsman eilt von einem Büro im Morddezernat ins nächste, um drei Aussagen seiner
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