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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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Cornflakes und blättert in einem Ausmalbuch. Im hinteren Teil der Wohnung öffnet sich eine Tür, dann hört man Schritte.
    »Ist Latonyas Mutter da?«, fragt Edgerton beinahe flüsternd.
    Er braucht nicht auf die Antwort zu warten. Fast im selben Augenblick steht die Frau auf der Schwelle des Esszimmers, ein Mädchen an ihrer Seite, dreizehn vielleicht, mit denselben hübschen Gesichtszügen wie die Tote hinter der Newington Avenue. Die Augen der Frau, in denen sich Angst und Schlaflosigkeit abzeichnen, heften sich an Harry Edgertons Gesicht.
    »Meine Tochter. Sie haben sie gefunden?«
    Edgerton schaut sie an, schüttelt den Kopf, sagt aber nichts. Die Frau schaut an Edgerton vorbei zu Ceruti, dann zur leeren Türschwelle. »Wo ist sie? Ist sie … okay?« Edgerton schüttelt noch einmal den Kopf.
    »O Gott.«
    »Es tut mir leid.«
    Das Mädchen unterdrückt einen Schrei und sinkt an die Brust seiner Mutter. Die Frau nimmt das Kind in die Arme und wendet sich zur Wand des Esszimmers. Edgerton sieht, dass sie gegen ihre Gefühle kämpft, die Augen lange fest zudrückt.
    Da öffnet der junge Mann den Mund: »Wie …«
    »Sie wurde heute früh gefunden«, flüstert Edgerton kaum hörbar. »Erstochen, hier in der Nähe hinter den Häusern.«
    Die Mutter wendet sich zu dem Detective um und versucht, etwaszu sagen, doch ihre Worte gehen in einem heftigen Schluchzen unter. Sie dreht sich um und geht auf eine Tür zu, in der eine andere Frau, die Tante des Opfers und die Mutter des Jungen mit den Cornflakes, ihr die Arme entgegenstreckt. Der Detective wendet sich an den Mann, der die Tür geöffnet hat und der, obwohl selbst noch ganz benommen von der Nachricht, immerhin zu verstehen scheint, was man zu ihm sagt.
    »Ihre Mutter muss mit uns in die Rechtsmedizin fahren, zur Identifizierung. Am besten kommen Sie alle mit aufs Präsidium. Wir brauchen jetzt Ihre Hilfe.«
    Der junge Mann nickt und verschwindet. Edgerton und Ceruti stehen einige Minuten verloren im Esszimmer. Plötzlich zerreißt ein lauter Klageton die Stille.
    »Wie ich so etwas hasse«, murmelt Ceruti.
    Edgerton tritt zu einem Regal und nimmt ein gerahmtes Foto in die Hand. Es zeigt zwei Mädchen, die in rosa Kinderkleidchen vor einem blauen Hintergrund posieren. Breites Fotolächeln, weiße Zähne, sorgfältig frisierte Zöpfe. Edgerton hält Ceruti, der auf einen Stuhl gesunken ist, das Foto hin.
    »Schau mal«, sagt Edgerton mit Blick auf das Foto, »das macht dieses Schwein an.«
    Das Mädchen, das größere auf dem Foto, kommt leise aus dem Zimmer, in dem die Mutter verschwunden ist.
    »Sie zieht sich an«, sagt das Mädchen.
    Edgerton nickt. »Wie heißt du?«
    »Rayshawn.«
    »Und wie alt bist du?«
    »Dreizehn.«
    Der Detective blickt wieder auf das Foto. Das Mädchen steht einen Augenblick unschlüssig da. Als keine weitere Frage kommt, zieht es sich wieder zurück. Edgerton geht bedächtig durch das Ess- und Wohnzimmer, dann in die Küche. Die Einrichtung ist spärlich, das Mobiliar zusammengewürfelt, das Sofa im Wohnzimmer hat abgewetzte Lehnen. Trotzdem macht die Wohnung einen sauberen und ordentlichen Eindruck – einen sehr ordentlichen sogar. Edgerton fällt auf, dass überall in den Regalen Familienfotos stehen. In der Küche ist ein Kinderbild – großes Haus, blauer Himmel, lächelndes Kind, lächelnder Hund –an die Tür des Kühlschranks geheftet. An der Wand hängen ein Stundenplan und Termine von Elternabenden. Ärmliche Verhältnisse, mag sein, aber keine trostlosen. Latonya Wallace hatte ein Zuhause.
    Die Tür des Schlafzimmers geht auf und die Mutter, nun in Straßenkleidung, betritt den Flur, gefolgt von ihrer Tochter. Sie geht mit müden Schritten durch das Esszimmer zur Garderobe.
    »Bereit?«, fragt Edgerton.
    Die Frau nickt und nimmt ihren Mantel vom Haken. Ihr Freund nimmt seine Jacke. Die Dreizehnjährige zögert.
    »Wo ist dein Mantel?«, fragt die Mutter.
    »In meinem Zimmer, glaube ich.«
    »Dann hol ihn«, sagt die Mutter leise. »Es ist kalt draußen.«
    Edgerton führt die kleine Prozession an. Die Mutter, ihr Freund und die Schwester quetschen sich in Cerutis Cavalier, der sich langsam in Richtung Penn Street in Bewegung setzt, wo eine verchromte Bahre in einem gefliesten Raum auf sie wartet.
    Unterdessen gehen Rich Garvey und Bob McAllister am südwestlichen Rand von Reservoir Hill den letzten Spuren von Latonya Wallace nach. Am Abend des 2. Februar, also zwei Tage zuvor, hat die Familie etwa um 8 Uhr 30 eine

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