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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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sonstigen Bedingungen des Tatorts. Hinzu kommt, dass sich die Leichenstarre in den ersten Stunden noch einmal löst, bevor sie erneut einsetzt. Der Rechtsmediziner müsste also eigentlich den Leichnam über mehrere Stunden beobachten, um den Grad der Leichenstarre genau zu bestimmen. So kommt es, dass Detectives häufig mit Schätzungen über den Eintritt des Todeszeitpunkts arbeiten müssen, die eine Spanne von sechs, zwölf oder gar achtzehn Stunden umfassen. Hat bereits die Verwesung eingesetzt, sind die Möglichkeiten des Rechtsmediziners, den Todeszeitpunkt näher zu bestimmen, noch mehr eingeschränkt. Immerhin sorgen alsbald die Maden dafür, dass man den Eintritt des Todes auf zwei bis drei Tage eingrenzen kann. Doch die Wahrheit ist, dass auch Mediziner oft nur eine grobe Schätzung des Todeszeitpunkts machen können. Und so entlockt es einem echten Polizisten nur ein müdes Lächeln, wenn er auf einer ereignislosen Spätschicht im Fernsehen sieht, wie ein Rechtsmediziner Kojak mitteilt, das Mordopfer habe zwischen 10 Uhr 30 und 10 Uhr 45 sein Leben ausgehaucht.
    Pellegrini und Landsman drängen die Rechtsmediziner, eine möglichst genaue Schätzung zu machen. Bei ihrem Opfer löse sich geradedie erste Totenstarre, hören sie, der Tod sei also vor mindestens zwölf Stunden eingetreten. Da noch keine Verwesung eingetreten ist und unter Berücksichtigung der zweiten, nur halb verdauten Mahlzeit ergibt sich für die Detectives: Latonya Wallace wurde wahrscheinlich einen Tag lang gefangen gehalten, am Mittwochabend getötet und ihre Leiche in den frühen Morgenstunden des Donnerstags in der Newington Avenue abgeladen.
    Der Rest der Autopsie ist weniger problematisch. Latonya Wallace wurde mit einem Stück Schnur oder Seil erdrosselt, dann brutal mit einem scharfen Gegenstand aufgeschlitzt, dem Anschein nach einem gezahnten Küchenmesser. Der Leichnam weist sechs tiefe Stichwunden in der Brust und im Unterleib auf, was auf eine Gewaltorgie schließen lässt, »Overkill«, wie die Detectives sagen. Obwohl das Opfer vollständig bekleidet aufgefunden wurde, spricht eine frische Verletzung im Vaginalbereich für ein Sexualverbrechen. Die vaginalen, analen und oralen Abstriche haben allerdings keine Samenspuren nachweisen können. Den Rechtsmedizinern fällt schließlich noch auf, dass nur in einem Ohrläppchen ein kleiner, sternförmiger Ohrring steckt. Die Familie bestätigt später, dass Latonya zwei Ohrringe trug, als sie am Dienstag zur Schule ging.
    Nach einer eingehenden Untersuchung der Wunden sind Pellegrini und Landsman überzeugt, dass die Fundstelle hinter der Newington Avenue nicht der eigentliche Tatort sein kann. Trotz der schweren Wunden des Kindes, die eine heftige Blutung verursacht haben mussten, fand sich dort nur wenig Blut. Die erste und wichtigste Frage für die Detectives ist damit: Wo wurde das Kind ermordet, wenn nicht hinter dem Haus? Wo ist der eigentliche Tatort?
    Als sich die Detectives am späten Nachmittag im Büro des Morddezernats zu einer Lagebesprechung einfinden, um ihre Erkenntnisse auszutauschen, fasst Jay Landsman zusammen, was den Anwesenden großenteils offenkundig erscheint:
    »Sie wurde zwischen der Bücherei und ihrem Haus gefunden«, sagt der Sergeant. »Der Täter stammt garantiert aus dem Viertel, und sie kannte ihn wahrscheinlich, ansonsten hätte er es kaum geschafft, sie am helllichten Tag von der Straße wegzulocken. Er muss sie in ein Gebäude gebracht haben. Hätte er sie vom Bürgersteig weg in ein Auto gezerrt,dann hätte er sie vermutlich ganz woanders hingebracht, und er hätte die Leiche kaum ins Viertel zurückgeschafft.«
    Auch die Vermutung von Landsman, dass das Mädchen wahrscheinlich nicht weiter als einen oder zwei Blocks vom Fundort der Leiche ermordet wurde, findet allgemeine Zustimmung. Selbst in den frühen Morgenstunden würde jemand, so seine Überlegung, der eine blutige, nur notdürftig mit einem dünnen Regenmantel verhüllte Kinderleiche mit sich herumschleppt, kaum eine längere Strecke über freies Gelände gehen.
    »Es sei denn, er hat sie in einem Auto dorthin gebracht«, fügt Pellegrini hinzu.
    »Aber dann sind wir wieder bei der Frage, warum jemand, der die Leiche schon in seinem Auto hatte, diese zwischen den Häusern ablegt, wo er aus zig Fenstern beobachtet werden kann«, erwidert Landsman. »Warum hat er sie dann nicht in den Wald gefahren?«
    »Vielleicht haben wir es mit einem Schwachkopf zu tun«, sagt Pellegrini.
    »Nein«,

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