Homicide
ab, verknüpfen Orte und Zeiten zu einem schlüssigen Ablauf und eliminieren widersprüchliche Details. Hieb- und stichfeste Alibis werden gebastelt. Und in dem Viertel, in dem sich der Mord ereignet hat, vermischen die Bewohner Gerüchte und Fakten zu einem zähen Brei, sodass bald kein Detective mehr unterscheiden kann, ob das, was ihm da jemand erzählt, Wissen aus erster Hand ist oder nur etwas, das am Tresen aufgeschnappt wurde. Dieser Prozess beginnt bereits in dem Augenblick, in dem der Ermordete zu Boden sinkt, und setzt sich unaufhaltsam fort, bis auch derbeste Zeuge wichtige Details vergessen hat. Doch wenn Landsmans Truppe am Werk war, saß noch bevor dieser Zersetzungsprozess richtig Wirkung zeigen konnte, immer jemand in einem der schalldichten Vernehmungsräume, dem der Detective Sergeant mächtig Dampf machte.
Allerdings kollidierte diese Methode häufig mit einer anderen unumstößlichen Wahrheit der Arbeit im Morddezernat: Schnelligkeit ist ein Trumpf, sie ist aber auch riskant. Wenn Landsmans taktische Aggressivität eine Schwäche hatte, dann war es ihre allzu große Geradlinigkeit, seine Neigung, unbekümmert und ohne nach links und rechts zu schauen voranzustürmen. Ein alternativloser Angriffsplan ist eben stets eine gefährliche Sache, und ein Detective, der im Labyrinth eines Falls einfach aufs Ziel losrennt, gerät rasch in eine Sackgasse. Er kann nicht davon ausgehen, dass die Türen, an denen er eben noch vorbeigehastet ist, überhaupt noch da sind, wenn er sich doch zur Umkehr entschließt.
In Reservoir Hill scheint das Labyrinth mit jeder Stunde größer und komplizierter zu werden. Als die Polizeischüler schon längst wieder abgezogen sind, dehnen die Detectives und Polizeikommandos die Aktion des Vortags rund um den Fundort der Leiche bis zu den Häusern der Park Avenue und Callow Avenue im Osten und Westen aus. Andere überprüfen die Imbisse und kleinen Läden auf der Whitelock Street und der nahen North Avenue, fragen, wo Hotdogs mit Sauerkraut verkauft werden und ob das jemand am Dienstag oder Mittwoch bestellt hat. Wieder andere suchen Latonyas Freundinnen und Freunde zu Hause auf, erkundigen sich nach ihrem Tagesablauf, ihren Gewohnheiten, ob sie sich für Jungs interessierte, ob Jungs sich für sie interessierten – Fragen, die gestellt werden müssen, so unangebracht sie bei einem Kind dieses Alters auch scheinen.
Die leitenden Ermittler, Tom Pellegrini und Harry Edgerton, verbringen einen guten Teil des Tages vor dem Computer. Sie füttern die Datenbank mit immer neuen Namen und fördern deren kriminelle Vergangenheit zutage. Edgerton hat immer noch nicht den Fall Brenda Thompson gelöst, doch die Akte, die zahllose Seiten mit handgeschriebenen Notizen von seiner letzten Befragung eines Tatverdächtigen enthält, ist von seinem Schreibtisch verschwunden und hat weißen MappenPlatz gemacht, in denen die Polizeiakten der Bewohner von Reservoir Hill gesammelt sind, Straße für Straße, Block für Block. Und auch der bereits zwei Wochen alte Fall Rudy Newsome plagt Tom Pellegrini inzwischen nicht mehr; vom Primary Detective in einer Kindermordsache wird erwartet, dass er an nichts anderem arbeitet. Dass die Umstände Prioritäten setzen, gehört zu den Dingen, die ein Detective im Morddezernat zu akzeptieren lernt. Zu Lebzeiten war Rudy Newsome ein Niemand, ein Schmarotzer, der sich als kleiner Dealer an einer Straßenecke an Baltimores täglichem Millionengeschäft mit Drogen beteiligte. Kein Mensch vermisste ihn. Nun wird er im Tod noch einmal in den Hintergrund gedrängt, durch eine Tragödie, die größer ist als seine und die lauter nach Vergeltung schreit.
Irgendwann an diesem zweiten Tag schlüpft Pellegrini aus dem Büro, um sich auf der Whitelock Street ein paar Stunden mit Ladenbesitzern und Anwohnern zu unterhalten. Er quetscht sie über den Fish Man aus, der immer noch ganz oben auf ihrer Liste der Verdächtigen steht. Jeden, den er greifen kann, fragt er nach dessen Wohnung, wo er die Woche über war, nach seinem angeblichen Interesse für kleine Mädchen, seiner Beziehung zu dem Opfer. Der Plan ist, den Hintergrund des Fish Man auszuleuchten und ihn am nächsten Tag aufs Präsidium zu holen. Mit etwas Glück erfahren sie auf der Whitelock Street etwas über den Alten, womit sie ihn dann beim Verhör unter Druck setzen können.
Doch mehr als ein paar neue Andeutungen und Gerüchte bringt Pellegrini nicht zurück. Es wird zwar viel geredet über den Fish Man und
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