Homicide
schnell und gründlich in einer Wohnung umzuschauen, auch wenn man keinen Durchsuchungsbefehl hat.
Befugt sind sie dazu nämlich eigentlich nicht – die Verdachtsgründe gegen den Alten reichen nicht für eine richterliche Anordnung aus, und ohne einen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebefehl können die Detectives weder etwas mitnehmen, noch die Wohnung gründlich inspizieren, sie können nicht unter die Matratzen und in die Schubladen schauen. Aber wenn der Alte sie reinlässt, können sie sich immerhin alles ansehen, was offen herumliegt. Und je mehr Augenpaare dies tun, desto besser ist es.
Bert Silver nimmt den Tatverdächtigen in Beschlag, sobald sich die Haustür öffnet, spricht ihn mit Namen an und macht ihm in einem einzigen, unmissverständlichen Satz klar, dass die halbe Polizei von Baltimore angerückt ist, um ihn um die Ehre seines Besuchs auf dem Präsidium zu bitten. Die anderen Detectives schieben sich unterdessen an den beiden vorbei und bewegen sich langsam durch die muffige, unordentliche Wohnung.
Der Alte jammert und schüttelt den Kopf, bevor er versucht, einzelne Silben zu einem Widerspruch zusammenzufügen. Bert Silver braucht ein paar Minuten, um ihn zu verstehen.
»Nich heut Ahmd.«
»Kommen Sie schon. Wir müssen mit Ihnen reden. Wo ist denn Ihre Hose? Ist das da Ihre Hose?«
»Will nich.«
»Tja, es ist nun mal dringend.«
»Nah … will nich.«
»Lässt sich aber nichts machen. Sie wollen doch nicht, dass wir Sie verhaften, oder etwa doch? Ist das Ihre Hose?«
»Schwarze da.«
»Die schwarze wollen Sie anziehen?«
Während Bertina Silver den Tatverdächtigen ausgehfertig macht, wandern die anderen Detectives aufmerksam durch die Zimmer, halten Ausschau nach Blutflecken, nach gezahnten Messern, nach einem kleinen, sternförmigen Ohrring. Harry Edgerton sucht in der Küche nach Hotdogs und Sauerkraut, bevor er sich dem Schlafzimmer zuwendet, wo er neben dem Bett des alten Manns einen großen roten Fleck entdeckt.
»He!, hier! Scheiße, was ist das?«
Edgerton und Eddie Brown beugen sich über den Fleck. Die Farbe ist dunkelrot, aber eher glänzend. Edgerton prüft den Fleck am Rand mit dem Finger.
»Klebrig«, sagt er.
»Wahrscheinlich Wein«, sagt Brown und dreht sich zu dem Alten um. »He, mein Freund, ist Ihnen vielleicht Ihre Flasche hier umgekippt?«
Der Alte gibt nur einen Grunzlaut von sich.
»Nie im Leben ist das Blut«, sagt Brown und lacht leise. »Das wird irgendein Fusel sein, Thunderbird vermutlich.«
Edgerton nickt, zieht aber trotzdem ein Taschenmesser heraus und schabt eine kleine Probe ab, die er in einem Tütchen versorgt. Der Detective im Flur macht dasselbe mit einem rotbraunen Schmierfleck, der sich mehr als einen Meter an der Wand entlangzieht. Sollte sich eine dieser Proben als Blut erweisen, dann müssen sie noch einmal mit einem Durchsuchungsbefehl kommen und neue nehmen, die als Beweise verwendet werden können. Edgerton hält das zwar für unwahrscheinlich, trotzdem will er auf Nummer sicher gehen und die Sache noch am selben Abend vom Labor klären lassen.
Erst jetzt fallen dem Alten die vielen Leute auf.
»He!, was machn dien da alle?«
»Sie warten auf Sie. Brauchen Sie keine Jacke? Wo ist denn Ihre Jacke?«
Der Alte zeigt auf eine schwarze Skijacke, die an einer Schranktür hängt. Silver angelt sie herunter und hält sie dem Alten hin, der umständlich seine Arme hineinmanövriert.
Brown schüttelt den Kopf. »Ist nicht unser Mann«, sagt er leise. »Garantiert nicht.«
Eine Viertelstunde später kommt Jay Landsman im Flur vor demVerhörzimmer im fünften Stock zu demselben Schluss. Er starrt durch das kleine, mit Maschendraht vergitterte Fenster. Die Scheibe ist einseitig verspiegelt, Landsmans Gesicht ist von drinnen nicht zu sehen, von innen sieht sie metallisch aus, wie eine polierte Stahlplatte oder ein blinder Spiegel.
Eingerahmt von dem Fensterchen sitzt er nun da, der Alte von der Südseite der Newington. Der Alte, der angeblich vor allen anderen im Viertel von dem Mord wusste. Ihr jüngster Verdächtiger, ein ziemlich fertiger Säufer, einer von den vielen, die ihr Leben zwischen Thunderbird und Colt 45 verbringen, mit offenem Hosenschlitz, das schmutzstarrende Arbeitshemd falsch geknöpft. Bert Silver hat sich nicht die Mühe gemacht, ihn ordentlich anzuziehen.
Der Sergeant beobachtet, wie sich der Alte die Augen reibt und in den Metallstuhl zurückfallen lässt, dann wieder nach vorne kippt und sich an schwer
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