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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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an der Szene, das mich wirklich gestört hat, und zwar ziemlich lange«, erinnert er sich später. »Dann fiel mir ein, wie manche Leute ihre Pantoffeln ausziehen.«
    Steinhice kam darauf, dass die Frau offenbar die Beine gekreuzt hatte, um mit der Spitze des einen Pantoffels auf die Ferse des anderen zu treten und ihn so abzustreifen – eine häufig zu beobachtende Angewohnheit,die zum Ergebnis hat, dass die Pantoffeln am Ende verkehrt herum stehen.
    »Danach konnte ich gehen«, sagte er.
    Freitag, 5. Februar
    Im klaren Sonnenlicht des Wintermorgens spüren die Polizeischüler nichts mehr von der unheimlichen Stimmung auf dem Weg hinter den Reihenhäusern der Newington Avenue. Er kommt ihnen wie jeder andere vor. Sie kriechen in jeden Winkel und wirbeln mit den Füßen das Laub auf.
    In der khakifarbenen Uniform der Education and Training Division arbeiten sich die zweiunddreißig Polizeischüler am zweiten Tag der Ermittlungen im Mordfall Latonya Wallace langsam in dem Viereck zwischen Newington Avenue, Whitelock Street, Gallow Avenue und Park Avenue vor und wieder zurück. Sie nehmen sich immer nur kleine Abschnitte vor, setzen den Fuß nur auf Stellen, die sie bereits abgesucht haben, heben mit größter Sorgfalt jeden Fetzen Müll auf und legen ihn ebenso vorsichtig wieder ab.
    »Ganz langsam. Schauen Sie sich jeden Zentimeter an«, ermahnt Dave Brown die Klasse. »Wenn Sie etwas finden – egal, was –, nicht anrühren. Holen Sie sofort einen Detective.«
    »Und scheuen Sie sich nicht, Fragen zu stellen«, fügt Rich Garvey hinzu. »Es gibt keine dummen Fragen. Zumindest wollen wir für heute mal so tun.«
    Garvey hatte nur geschnaubt, als die Polizeischüler aus dem Bus sprangen und sich zum Zählappell vor ihrem Officer aufreihten. Einer ganzen Herde Polizeikälber zu erlauben, einen Tatort abzugrasen – was für eine schwachsinnige Idee. Garvey sah sie schon über Blutspuren latschen und kleinere Beweisstücke in die Gullis kicken. Andererseits können zweiunddreißig Paar aufmerksame Augen eine ziemlich große Fläche absuchen, und bei den Ermittlungen im Fall Latonya Wallace konnten sie wirklich jede Unterstützung gebrauchen.
    Einmal auf dem Gelände losgelassen, sind die Polizeischüler eifrig bei der Sache, wie nicht anders zu erwarten. Sie arbeiten sich mit der Hingabe von Neulingen durch den Müll und das welke Laub. Bei diesemAnblick fragt sich Garvey unwillkürlich, welche Macht der Welt wohl dreißig altgediente Polizisten dazu bringen könnte, auf Händen und Knien in Reservoir Hill herumzurutschen.
    Die Detectives teilen die Rekruten in Zweierteams ein, denen sie jeweils ein Stück Hof hinter dem 700er-Block der Newington Avenue zuweisen, andere schicken sie in die Hinterhöfe der Park Avenue und Callow Avenue im Osten und Westen des Blocks, in dem das Kind gefunden wurde. Hinter der nördlichen Grenze des Blocks, die von der Whitelock Street gebildet wird, gibt es keine Höfe oder offenes Gelände, hier wird der Weg von der Backsteinmauer eines Lagerhauses begrenzt. Die Suche dauert mehr als eine Stunde. Die Polizeischüler entdecken drei Steakmesser, ein Buttermesser und ein Tranchierbesteck – alle mit mehr Rost an der Klinge, als eine Mordwaffe über Nacht ansetzen kann. Daneben finden sie etliche Spritzen, in dieser Gegend ein so alltäglicher Gegenstand, dass ihm die Detectives keinerlei Beachtung schenken, sowie Kämme, Haarbänder, verschiedene Kleidungsstücke und einen Kinderschuh – nichts davon hat mit dem Verbrechen zu tun. Ein besonders eifriger Polizeischüler liest vom Hinterhof der Newington Avenue 704 einen Plastikbeutel auf, halb gefüllt mit einer trüben, gelben Flüssigkeit.
    »Sir«, fragt er und hebt den Beutel auf Augenhöhe, »ist das was?«
    »Ja, das ist was, und zwar ein Pissbeutel«, sagt Garvey ungerührt. »Sie dürfen ihn wieder hinlegen, wenn es Ihnen beliebt.«
    Was die Suche nicht zutage fördert, ist ein kleiner, sternförmiger Goldohrring, auch eine Blutspur, die zum Schauplatz des Mordes geführt oder zumindest in seine Richtung gewiesen hätte, ist nirgends zu finden. An der Stelle, an der das Mädchen am Vortag gefunden wurde, sind nur noch ein paar dunkle Flecken zu sehen, aber weder die Detectives noch die Polizeischüler können anderswo auch nur das kleinste Tröpfchen Blut entdecken. Bei den schweren Verletzungen, die der Mörder dem Kind zugefügt hat, und angesichts der Tatsache, dass er es nur in einen Regenmantel gehüllt hat, könnte man

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