Homicide
Landsman, Pellegrini und Edgerton kommen an der Spitze einesweiteren halben Dutzends Polizisten in die Dreizimmerwohnung im zweiten Stock. Sie ist schmutzig, aber nicht verwahrlost, und nur spärlich möbliert. Auch die Schränke sind fast leer.
Während sich die Detectives auf die Räume verteilen und mit der Durchsuchung beginnen, macht sich der Fish Man ungerührt wieder über sein gebratenes Hühnchen, sein Gemüse und sein Colt 45 her. Mit der Gabel zerrt er das Fleisch vom Hähnchenschenkel und schiebt es sich mit den Fingern in den Mund.
»Kann ich mal sehen?«, fragt er.
»Was?«
»Den Durchsuchungsbefehl. Kann ich den mal sehen?«
Landsman tritt in die Küche und knallt ihm eine Kopie auf den Tisch. »Können Sie behalten.«
Der Fish Man kaut an seinem Hähnchen und studiert bedächtig Landsmans Durchsuchungsbefehl. Er enthält eine Auflistung der Gründe: Kannte das Opfer. Beschäftigte das Opfer in seinem Laden. Täuschte die Ermittler über Verbleib zum Zeitpunkt der Tat. Aufenthaltsort am Tag des Verschwindens des Opfers unbekannt. Der Fish Man liest das ohne erkennbare Regung durch. Beim Umblättern hinterlässt er auf jeder Seite Fettflecke.
Edgerton und Pellegrini stoßen zu Landsman im hinteren Schlafzimmer. Die Detectives und die Polizisten wühlen in den wenigen Habseligkeiten des Wohnungsinhabers.
»Hier gibt’s nicht viel zu sehen, Jay«, sagt Pellegrini. »Holen wir noch ein paar Jungs und fahren zur Newington, während du dir den Laden auf der anderen Straßenseite vornimmst.«
Landsman nickt. In der Newington Avenue befindet sich die zweite Adresse, die sie an diesem Abend durchsuchen wollen. Die zwei Durchsuchungsbefehle für zwei Örtlichkeiten sind Ausdruck dafür, dass die Detectives sich über ihr Vorgehen im Fall Latonya Wallace nicht einig sind. Am frühen Nachmittag hatten sich die leitenden Ermittler an entgegengesetzten Enden des Verwaltungsbüros ein Schreibmaschinenduell geliefert – Pellegrini und Edgerton hatten ihr Material über neue, in der Newington 702 ansässige Verdächtige aufgeführt, und Landsman hatte alles, was er über den Ladenbesitzer wusste, in einem doppelten Durchsuchungsantrag für die Wohnung des Fish Man unddie Ruine des kurz vor dem Verschwinden des Kindes ausgebrannten Ladens in der Whitelock Street zusammengestellt. Es war nicht ohne Ironie, dass Landsman wieder beim Fish Man gelandet war, während Pellegrini und Edgerton – die vor einigen Tagen noch stark auf den Ladenbesitzer gesetzt hatten – inzwischen eine neue Theorie entwickelt hatten.
Landsmans Festhalten am Fish Man stand im Gegensatz zu seiner früheren Argumentation, war er doch überzeugt gewesen, dass der Todeszeitpunkt den Händler entlastete. In einer späteren Beratung mit den Rechtsmedizinern waren Landsman und Pellegrini jedoch zu einer anderen Einschätzung gekommen: Die Leichenstarre löste sich gerade, die Augen waren noch feucht und der Körper zeigte keine Verwesungsspuren – zwölf bis achtzehn Stunden. Wahrscheinlich jedenfalls, so die Rechtsmediziner, sofern der Mörder nicht eine Möglichkeit gefunden hatte, die Leiche zwischenzeitlich an einem kühlen Ort abzulegen, was zu dieser Jahreszeit ein leer stehendes Haus, eine Garage, ein ungeheizter Keller sein konnte. Das hatte möglicherweise den Zerfallsprozess der Leiche verzögert.
»Um wie viel?«, fragte Landsman.
Bis zu vierundzwanzig Stunden. Womöglich mehr.
Verdammt, Edgerton konnte durchaus recht haben mit seiner zwei Tage zuvor geäußerten Schätzung zum Todeseintritt. Vierundzwanzig bis sechsunddreißig Stunden, das bedeutete, dass der Mord auch am Tag der Entführung, also am Dienstagabend oder am Mittwochmorgen, stattgefunden haben könnte. Für diesen Zeitraum hatte der Fish Man kein Alibi. Wenn er die Möglichkeit gehabt hatte, den Leichnam in einem kühlen Raum zu lagern, war er immer noch im Spiel. Doch noch eine weiterer Annahme wurde durch Pellegrinis fleißige Ermittlungsarbeit erschüttert, sodass sich die Detectives gezwungen sahen, eine längere Entführungszeit und einen Mord am Mittwochabend anzunehmen: die Mahlzeit aus Hotdogs und Sauerkraut, die man im Magen des Kindes gefunden hatte. Diese Spur löste sich in Luft auf, als Pellegrini bei einer Befragung in Reservoir Hill zufällig auf einen Kantinenmitarbeiter der Eutaw-Marshburn School stieß. Pellegrini nutzte die Gelegenheit, um die Angaben zum Fall gegenzuchecken und fragte, ob das Kantinenessen am 2. Februar tatsächlich aus
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