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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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unbeeindruckt.
    »Zeigen Sie mal den Durchsuchungsbefehl.«
    Der Detective winkt ab. »Wenn wir hier fertig sind, lassen wir eine Kopie da.«
    »Scheiße, Sie haben gar keinen Durchsuchungsbefehl.« Brown zuckt nur lächelnd mit den Schultern.
    »Wichser.«
    Brown fährt herum und wirft dem Mann in den blauen Boxershorts einen stahlharten Blick zu, doch der sieht ihn nur unschuldig an.
    »Wer war das?«, fragt Brown.
    Die Augen des Dicken wandern langsam durch den Raum und bleiben an dem Teenager im grauen Trainingsanzug hängen, der so laute Warnschreie abgegeben hat. Er lehnt mit dem Rücken an der offenen Tür zum Flur und mustert Eddie Brown verächtlich.
    »Hast du vielleicht etwas gesagt?«
    »Ich sage, was ich will«, antwortet der Junge mürrisch.
    Brown tritt zwei Schritte ins Zimmer, pflückt den Knaben von der Tür und zerrt ihn in den Hausflur. Ceruti und ein Uniformierter treten zurück, um nichts zu verpassen. Brown kommt dem Jungen so nahe, dass dessen gesamte Welt aus dem Gesicht des Polizisten besteht, es für ihn nichts mehr zu erfassen gibt als diesen wütenden, über einsachtzig großen und 100 Kilo schweren Polizisten.
    »Was hast du mir zu sagen?«, fragt Brown.
    »Ich habe gar nichts gesagt.«
    »Sag es noch mal.«
    »Mann, ich habe gar nichts …«
    Browns Gesicht faltet sich zu einem höhnischen Grinsen. Wortlos zieht er den Jungen zurück ins Zimmer, wo zwei Polizisten bereits begonnen haben, Namen und Geburtsdaten aufzunehmen.
    »Wie lange müssen wir hier rumsitzen?«, fragt der Mann in den blauen Boxershorts.
    »So lange, bis wir fertig sind«, sagt Brown.
    In einem Schlafzimmer im oberen Stockwerk bahnen sich Edgerton und Pellegrini langsam und vorsichtig einen Weg durch Haufen von alten Klamotten und verwanzten Matratzen, Papiermüll und ranzigen Essensresten. Sie suchen nach Anzeichen dafür, dass Latonya Kim Wallacedie letzten Stunden ihres Lebens in der Newington Avenue 702 verbracht hat.
    Die Durchsuchungs- und Beschlagnahmeaktion bei den Schnüfflern in der Newington 702 gibt den nun eine Woche andauernden Ermittlungen eine neue Wendung. Sie ist die Probe aufs Exempel einer Theorie, die Pellegrini und Edgerton in den vorangegangenen zwei Tagen entwickelt haben. Das neue Szenario bringt Sinn in gewisse Details, insbesondere kann es zum ersten Mal erklären, warum Latonya Wallace vor dem Hintereingang der Newington 718 abgelegt wurde. Da der Fundort der Leiche so abwegig erschien, musste alles, was eine halbwegs schlüssige Erklärung für ihn bot, dem Fall fast zwangsläufig eine neue Wendung geben.
    Als man Latonya an jenem Morgen fand, stellten sich alle die Frage, warum um alles in der Welt der Mörder das Risiko eingegangen war, die Leiche des Kindes auf den umzäunten Hinterhof der Newington 718 zu schleppen und sie dort in Sicht- und Hörweite des Hauses vor der Hintertür abzulegen. Wenn der Täter schon unbeobachtet das Gelände hinter der Newington Avenue erreichen konnte, warum hatte er dann die Leiche nicht einfach irgendwo dort liegen lassen und sich dann schleunigst aus dem Staub gemacht? Und wieso hatte er nicht ein Grundstück an einem der beiden Enden des Blocks gewählt – den beiden Punkten, über die er das Gelände hinter den Häusern erreicht haben konnte? Wieso, verdammt noch mal, riskierte es ein Mörder, das umzäunte Grundstück eines bewohnten Hauses zu betreten, die Leiche noch fast 15 Meter weiterzutragen und sie praktisch vor den Hintereingang zu legen? Andere Höfe waren leichter zugänglich, und drei Häuser, die an den Weg grenzten, standen eindeutig leer. Wozu das Risiko, von den Bewohnern der Newington 718 gehört oder gesehen zu werden, wenn er sich der Leiche genauso gut im Hof eines Hauses entledigen konnte, aus dessen vernagelten Fenstern garantiert kein Bewohner etwas sehen würde?
    Noch bevor der alte Säufer aus der Newington Avenue aus dem Kreis der Verdächtigen ausgeschieden war, hatte sich im Kopf der beiden Detectives eine Antwort abgezeichnet, eine Antwort, die sich nahtlos mit Landsmans Anfangsüberlegungen zusammenfügte.
    Vom ersten Tag an hatte Landsman vermutet, dass der Mord in einemHaus oder einer Garage unweit des Fundorts der Leiche begangen wurde. In den frühen Morgenstunden des nächsten Tages hatte der Mörder dann das tote Kind auf den Weg hinausgetragen, es vor der Tür der Nummer 718 abgelegt und sich davongemacht. Am wahrscheinlichsten war, so Landsman, dass sich der Mord in einem der Häuser der Callow Avenue, der

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