Homo ambrosius (Die Chimären) (German Edition)
fest und befestige die Perlenketten an der Wand …“
„Ich verstehe“, unterbrach ihn sein Vater. „Die Perlenketten sind die Telomere, sie stabilisieren die Zeitung, ich meine, das Chromosom, und sie tragen keine Erbinformationen.“
„Richtig, und wenn jetzt eine Zellteilung erfolgt, werden an jedem Ende der Perlenkette einige Perlen entfernt. Die Kette wird immer kürzer …“
„… und irgendwann ist sie so kurz, dass sie das Chromosom nicht mehr stabilisieren kann“, beendete Wei Feng den Satz. „Das heißt, wenn ich die Telomerenlänge eines Organismus kenne, dann kann ich auch sein zu erwartendes Lebensalter abschätzen.“
„Korrekt, zumindest was das zu erwartende maximale biologische Lebensalter betrifft.“
„Ein gefundenes Fressen für jede Lebensversicherung“, meinte Wei Feng. „Und die Entdeckung von Brighton hat mit diesen Telomeren zu tun?“
„Ja, er hat einen einfachen Versuch gestartet, der wider Erwarten gelungen ist. Er nahm zuerst mehrere befruchtete menschliche Eizellen und ließ diese sich einmal teilen. Anschließend schnitt er biochemisch von den Chromosomen Teile dieser Telomere, also dieser stabilisierenden Perlenketten, ab. In der Folge konnten sich diese manipulierten Zellen nur noch drei-, viermal teilen, dann war Schluss.“
„Was ist denn daran besonders, ich dachte, das ist schon bekannt?“
„Das Besondere an Brightons Versuch war, dass es noch weiterging. Brighton hat die abgeschnittenen Telomere isoliert und sie aus reiner Neugierde in eine intakte befruchtete Eizelle überführt, dann hat er die Zellteilung ausgelöst. Nach der Zellteilung stellte er fest, dass die abgeschnittenen Telomere, also die Schnittreste, eingebaut wurden.“
„Du meinst, er hat damit das Leben der Zelle verlängert?“
Dérúgo Feng klatschte heftig in die Hände, um seine eigene Anspannung zu lösen. „Genau! Und das eigentlich Sensationelle ist, dass der Einbau dieser freien Telomere vollkommen harmonisch erfolgte. Das ist die eigentliche Sensation!“ Sein Vater schaute verständnislos, und so griff Dérúgo nach den Resten der Zeitung.
„Hier, nimm die acht Doppelseiten, jede steht für ein Chromosom. An jedem dieser Chromosomen sind jeweils zwei exakt gleich lange Perlenketten, sprich Telomere, in der Summe sechzehn Perlenketten. Jetzt geht die Tür auf und irgendjemand wirft einundzwanzig Perlenketten unterschiedlicher Länge in den Raum.“ Sein Vater nickte.
„So, und jetzt setzt ein Prozess ein, der diese einundzwanzig freien Perlenketten an die sechzehn, die ich schon habe, anfügt. Was würdest du erwarten?“
„Dass unterschiedlich lange Perlenketten, ich meine Telomere, entstehen.“
„Genau, das würde auch jeder Molekulargenetiker erwarten, soweit er überhaupt akzeptieren würde, dass freie Telomerstrukturen eingebaut werden. Aber das Ergebnis ist, dass ein unbekannter Mechanismus die freien Telomere nicht nur einbaut, sondern dass dieser Einbau auch noch vollständig symmetrisch verläuft. Brighton vermutet dahinter einen natürlichen Reparaturmechanismus in der embryonalen Zelle.
Das Ergebnis ist: Die Telomere sind am Ende nicht nur länger, sondern sie sind auch über alle Chromosomen hinweg symmetrisch verlängert worden.“
Er schwieg und schenkte erst seinem Vater und dann sich Tee ein.
„Wenn ich es richtig verstanden habe, hast du mir gerade erklärt, dass Brighton einen Weg gefunden hat, die menschliche Lebenserwartung zu erhöhen. Um wie viele Jahre, Dérúgo?“
„Wie es aussieht, gibt es eine Grenze. Die Telomere können nach den bisherigen Erkenntnissen nicht beliebig verlängert werden. Brighton geht von einer sicheren Vervierfachung, maximal einer Versechsfachung aus. Einigen wir uns auf durchschnittlich fünffach, dann kommen wir auf eine Lebenserwartung von etwa 300 bis 350 Jahren. Vielleicht sogar 400 Jahren.“
„Die Manipulationen müssen in der Eizelle gemacht werden?“, fragte Wei Feng.
„Ja, die Technik kommt nur für zukünftige Generationen infrage“, sagte Dérúgo und beantwortete damit die eigentliche Frage.
„Welche Risiken gibt es?“
„Von zehn manipulierten Embryonen fallen etwa sechzig Prozent aus, das heißt, es kommt in diesem Fall nicht zur Zellteilung. Brighton vermutet, dass der Reparaturmechanismus in diesen Fällen versagt. Setzt die Zellteilung ein, ist der Transfer, das heißt der Einbau der zusätzlichen Telomerteile, gelungen.
Eingebaut werden nur Telomere einer fremden DNA, der
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