Homo ambrosius (Die Chimären) (German Edition)
sympathisch, und das Gleiche galt für Bob Bloth und Brian. Als Tobias das begriff, bescherte ihm das ein tiefes Gefühl der Zufriedenheit.
Überhaupt: Brian. Sie waren schnell Freunde geworden, und nach einigen Wochen merkte Tobias, dass er Jakob Schell nicht mehr vermisste und immer seltener an ihn dachte. Brian kümmerte sich wie eine Glucke um ihn. Er nahm ihm alles ab: von der Wohnungssuche über den Gang zum Finanzamt bis zu Versicherungsformularen. Das Du hatte er ihm schon nach wenigen Tagen angeboten. Im Gegensatz zu Jakob Schell kannte und schätzte Brian Tobias’ Fähigkeiten. Da er selbst vom Fach war, konnte er Tobias nicht nur optimal betreuen, sondern auch gezielt einsetzen. Tobias fasste immer mehr Vertrauen zu ihm, bis er eines Tages seinen ganzen Mut zusammennahm und mit Brian über das sprach, was ihn am meisten belastete.
Bei jeder Gelegenheit erinnerte Brian Tobias daran, sich mehr zu bewegen. Das hatten ihm die Ärzte geraten, die Tobias einen chronischen Bewegungsmangel attestierten. Es gab Tage, da legte Tobias vielleicht hundert Meter zurück, den Rest verbrachte er auf seinem Stuhl vor dem Computer. Seiner Figur sah man das allerdings nicht an, er war mager wie eh und je.
An diesem 31. August 2014, einem Sonntag, wollte Brian Tobias alle Sehenswürdigkeiten der Londoner City innerhalb von vier Stunden zeigen, und das zu Fuß. Bisher hatte sich Tobias vor einer Stadtbesichtigung gedrückt, seine Wohnung, sein Arbeitsweg und sein Büro waren ihm genug London, alles andere interessierte ihn schlichtweg nicht.
Nach einer Stunde Fußmarsch standen sie in der Westminster Abbey vor dem Grab von Sir Isaac Newton. Tobias, der bisher eher gelangweilt gewesen war, konnte mit dem Namen Newton nichts anfangen. Brian fasste alles, was er über Newton wusste, für ihn zusammen. Dabei musste er zu seinem Verdruss feststellen, dass es nicht besonders viel war.
Das Wenige reichte aus, um Tobias’ Interesse zu wecken, plötzlich stellte er eine Frage nach der anderen. Brian musste viel zu oft für seine Begriffe „Keine Ahnung!“ sagen. Das schien Tobias aber gar nicht zu stören, im Gegenteil, es verstärkte seine Neugier auf Newton sogar noch. Am meisten beeindruckte ihn wohl, dass die Person und der Name Newton in Form einer physikalischen Maßeinheit eine Art Unsterblichkeit erreicht hatte.
Von da an war Tobias nicht mehr zu bremsen. Die Führung durch die Londoner City endete in der Westminster Abbey und wurde zu einem Ausflug in die Geschichte. Tobias nötigte Brian nahezu, mit ihm von Grab zu Grab zu gehen und ihm die wichtigsten Daten zu den jeweiligen Personen zu erzählen. Er saugte die Geschichten und Leistungen von Charles Darwin, Georg Friedrich Händel, David Livingstone und Charles Dickens in sich auf wie ein trockener Schwamm das Wasser.
Als sie nach rund drei Stunden das Kapitelhaus, das achteckige Chapter House der Westminster Abbey, betraten, setzte sich Tobias auf die Steinbank, die sich an der Wand entlangzog. Er wirkte in sich gekehrt und Brian hatte gelernt, dass Tobias in diesem Zustand kaum ansprechbar war. Er setzte sich neben ihn und beobachtete die Touristen, die sich ab und zu in den schmucklosen Raum verirrten.
So verging fast eine halbe Stunde, dann wandte sich Tobias plötzlich zu ihm und fragte ihn:
„Brian, glaubst du an Gott?“
Diese Frage kam überraschend. „Ja, eigentlich schon. Warum fragst du?“
„ Nature and Nature’s Laws lay hid in Night: God said, Let Newton be! and all was Light. Das steht auf dem Grabmal von Newton.“
„Ja, das ist, soweit ich mich erinnere, von Alexander Pope. Ein Gedicht, das er ein paar Jahre nach Newtons Tod schrieb.“
„Was meint er mit Natur und der Natur Gesetz waren in Nacht gehüllt, Gott sprach: Es werde Newton! Und das All ward lichterfüllt ?“, fragte Tobias.
Brian überlegte einen Moment, er wusste nicht, worauf Tobias hinauswollte. „Ich glaube, er wollte damit sagen, dass niemand die Gesetze der Natur verstand, bis Gott den Genius Newton erschuf. Newton brachte sozusagen Licht ins Dunkel der Unwissenheit. Gott schuf ihn, damit er den Menschen die Tür zu den Gesetzen der Natur öffnete.“
„Glaubst du, Gott will, dass die Wissenschaft in die Gesetze der Natur eingreift?“
„Ach Tobias, da bin ich der falsche Diskussionspartner für dich, darüber solltest du mit Naturwissenschaftlern und Philosophen reden. In meinem Job kann ich mir Ethiküberlegungen nicht leisten. Komm, lass uns weitergehen, es
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