Homo ambrosius (Die Chimären) (German Edition)
Feng kehrte in den frühen Morgenstunden zurück in die Botschaft, direkt nach Abschluss der EU-Verhandlungen, die sich ewig hingezogen hatten. Er duschte und gönnte sich ein kleines Frühstück, dabei sah er fern. Das chinesisch-deutsche Abkommen stand und wurde in den Morgennachrichten fast schon euphorisch gefeiert. Der 29. November 2013 war ein historischer Tag.
Der Stabilitäts- und Wirtschaftspakt war unter Dach und Fach. Zumindest aus Sicht der Europäer war es ein hartes Ringen gewesen. Allerdings mehr zwischen den einzelnen europäischen Vertretern als zwischen der EU und China. Die monatelange Lobbyarbeit hatte sich für China ausgezahlt, sie hatten alle Ziele erreicht und sämtliche Forderungen durchgesetzt.
Beide Vertragspartner erhielten einen uneingeschränkten Zugang zum Markt des anderen. Bestehende Handelshindernisse sollten abgebaut und das Urheberrecht sowie der Patentschutz in China auf europäisches Niveau angehoben werden. Dafür war eine Übergangszeit von zehn Jahren vorgesehen. Die Europäer feierten dieses Ergebnis, doch aus chinesischer Sicht war es nur ein Zugeständnis, das man im Rahmen der Marktöffnung Chinas innerhalb der nächsten Jahre sowieso hätte machen müssen.
Die Abschottung des chinesischen Marktes für Westfirmen, mithilfe von Subventionen und Zöllen auf Exportgütern, war schon lange ein Auslaufmodell. Und was die technologische Entwicklung neuer Produkte betraf, hatte China in vielen Sparten schon seit einiger Zeit die Konkurrenz überholt. Längst forderten chinesische Unternehmer einen weitreichenden Kopier- und Patentschutz für ihre eigenen Produkte.
Die finanzielle Unterstützung der Europäer war auch so eine notwendige Maßnahme. Denn die wirtschaftliche Schwächung des EU-Raumes in den letzten Jahren hatte auch in China ihre Spuren hinterlassen. Immerhin war Europa einer der wichtigsten Absatzmärkte für chinesische Produkte, und diesen wollte China stabilisieren und sich so erhalten. Für China war der chinesisch-europäische Stabilitäts- und Wirtschaftspaktes somit außerordentlich wichtig.
Der freie Zugang zum europäischen Markt für chinesische Waren und Unternehmen war dabei noch der kleinste Teil. Auf drei Forderungen kam es an: erstens auf die Öffnung des europäischen Arbeitsmarktes für Chinesen inklusive Niederlassungsrecht und Nachzug von Familienangehörigen.
Die zweite Forderung hatte im Vorfeld zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den europäischen Staaten geführt. Mit Blick auf die hohe Staatsverschuldung und die ungünstige demografische Entwicklung war es jedem Politiker klar, dass die Sozialsysteme umgebaut werden mussten. Allerdings war dieser Umbau ein so heißes Eisen, dass sich niemand daran die Finger verbrennen wollte. China hatte jedoch die Reform und den Umbau der Sozialversicherungssysteme gefordert und als Köder den massiven Kauf europäischer Staatsanleihen versprochen. Da China Druck machte, hatten die europäischen Politiker ihren Sündenbock. In der öffentlichen Wahrnehmung erzwang China den Umbau der Sozialsysteme, und hinter den Kulissen hatten die europäischen Politiker endlich ihren Grund, die notwendigen Reformen einzuleiten. Damit Europa die Entscheidung leichter fiel, hatte China einer Umstellungsfrist bis 2020 zugestimmt. So vererbten die europäischen Politiker das heikle Geschäft ihren Nachfolgern.
Die dritte Forderung schließlich betraf die Reduzierung der Staatsausgaben im Bereich der Administration – um bis zu fünfzig Prozent innerhalb der nächsten zehn Jahre. Dies betraf vor allem den Stellenabbau von Staatsangestellten in den europäischen Verwaltungsstrukturen. Europa bekam also vorgehalten, was 2011 und 2012 gegenüber Griechenland, Portugal, Spanien und Italien gefordert worden war. Eine Lösung für dieses Problem lag offiziell noch nicht vor.
Inoffiziell gab es die Lösung längst: das IMIAS-System des ORGANICA-Konzerns. Das Lobbying dafür sollte schon in den nächsten Tagen beginnen.
Dérúgo Feng zappte durch eine Reihe europäischer Sender. Von fünf Kommentaren, die er sich jetzt anhörte, war nur der letzte kritisch, Feng stellte den Ton lauter. Der Name des Kommentators wurde eingeblendet: Frederic Augstein, BBC Frankfurt.
„Die massiven Forderungen Chinas zur Vereinfachung der öffentlichen Verwaltung und zu den damit verbundenen Kostensenkungen in den Ländern der Europäischen Union sind nicht nur gerechtfertigt, sondern längst überfällig. Dies betrifft insbesondere
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