Homo ambrosius (Die Chimären) (German Edition)
ist vollständig durchgedreht. Die andere: Er hat recht und er hat Beweise dafür. Lass uns mal das zweite annehmen. Ich für meinen Teil glaube ihm.“
Mary seufzte zustimmend. Sie kannte Tobias. Er log nicht. „Jetzt haben wir also das Motiv. Irgendjemand spielt erfolgreich Schöpfer und konstruiert neue Menschen.“
So wie sie es sagte, war Brian sich nicht sicher, ob sie es nun billigte oder verteufelte. „Ja, jemand spielt Schöpfer“, sagte er, „und Tobias ist ihm auf die Schliche gekommen. Und hat beschlossen, dass er eingreifen muss.“
„Das Motiv kennen wir also nun. Die nächsten Fragen sind: Wann hat er das festgestellt? Warum hat er das nicht angezeigt? Warum hat er solch eine radikale Methode verwendet und sämtliche Computersysteme zerstört, und wie hat er das gemacht? Und die wahrscheinlich wichtigste Frage: Was hat der chinesische Staatspräsident damit zu tun?“
„Die letzte Frage, Mary, kann ich wohl beantworten. Wer ist heute die finanzstärkste Nation? Wer ist die führende Wissenschafts- und Entwicklungsnation? Und wer könnte in der Lage sein – und Interesse daran haben –, einen Homo ambrosius, einen unsterblichen Menschen, zu erzeugen? China natürlich!“ Brian stockte. „China … und die Familie Feng. Die Familie des chinesischen Staatspräsidenten!“
„China, da stimme ich dir zu. Aber wie kommst du auf die Fengs, Brian? Ja, wir wissen, dass Tobias den chinesischen Staatspräsidenten sprechen beziehungsweise treffen will, aber deswegen muss der Clan doch nicht gleich korrupt sein?“
„Die Fengs waren schon sehr vermögend, als Dérúgo Feng zum chinesischen Botschafter in Großbritannien ernannt wurde. Nach der großen Gesundheitsreform in Europa jedoch explodierte ihr Vermögen regelrecht, und diese Reform wurde ja kurz darauf weltweit umgesetzt.“
Mary musterte Brian, sein Gesicht war leicht gerötet, man sah ihm an, dass der alte Spürhund sich auf der richtigen Fährte wähnte.
„Welche Unternehmen fallen dir ein, die in den letzten dreißig Jahren an der Börse Furore gemacht haben?“, fragte Brian.
Sie überlegte einen Moment und begann dann aufzuzählen: „Apple mit der myCom-Serie, Google mit den Robotcars und ganz sicher die ORGANICA, weiter die …“
„Der ORGANICA-Konzern“, unterbrach Brian sie, „ist zu etwa achtzig Prozent im Besitz der Familie Feng, und in welchen Bereichen ist der Konzern tätig?“
„In der Pharmabranche?“
„Nicht nur. Neben der Entwicklung und Produktion von Pharmaka entwickeln und unterhalten Unternehmen des ORGANICA-Konzerns die nationalen DNA-Datenbanken. IMIAS und die PID-Chips kommen von einem Unternehmen des Konzerns. Die ORGANICA-Tochter TRANSPLAN in Singapur besitzt das Monopol im legalen Organhandel. Vier Nobelpreisträger der letzten zwanzig Jahre aus dem Bereich Medizin forschten in Laboren der ORGANICA, alles Molekulargenetiker! Der ORGANICA-Konzern ist heute der größte Entwickler von genetisch veränderten Organismen!“
„Du meinst, Tobias will nicht den chinesischen Staatspräsidenten, sondern er will das Oberhaupt der Familie Feng, als Verantwortlichen der ORGANICA?“, fragte Mary.
„Ja, das denke ich. Dass Dérúgo Feng zurzeit chinesischer Staatspräsident ist, ist reiner Zufall. Wenn das stimmt, hat Tobias’ Aktion keinen politischen Hintergrund.“
„Das Ganze mag keinen politischen Hintergrund haben, aber es hat politische Auswirkungen. Brian, es ist kurz nach 8 Uhr, wir sollten uns überlegen, was wir dem Premierminister nachher berichten. Aus meiner Sicht ist es noch zu früh, um das Thema Chimären anzusprechen. Er würde uns vermutlich nicht ernst nehmen und uns im schlimmsten Falle hier abziehen. Wir brauchen Fakten.“
Kurz vor 10 Uhr nahmen sie vor dem Bildschirm der Videokonferenzanlage Platz. Tobias hatten sie an diesem Morgen noch nicht gesehen, James hatte angedeutet, dass er sich in seinem Arbeitszimmer befand und bis Mittag nicht gestört werden wollte.
Sie würden vorerst ihre Vermutungen für sich behalten. Brian wollte nach der Videokonferenz mit Tobias reden und Beweise für seine Theorie sammeln. Er schaltete die Mikrofone und Lautsprecher der Anlage wieder ein.
Pünktlich 10 Uhr erschien der Premierminister vor der Kamera. Er sah nicht ausgeruht aus. „Guten Morgen, haben Sie verwertbare Ergebnisse?“, fragte er, ohne sie vorher zu begrüßen.
Brian ergriff das Wort. „Guten Morgen, Herr Premierminister, nein, noch nichts Verwertbares. Eine Reihe von
Weitere Kostenlose Bücher