Homo ambrosius (Die Chimären) (German Edition)
Vermutungen, aber keine konkreten Ergebnisse. Das gestrige Gespräch mit Herrn Feist war kurz, aber er zieht mich langsam wieder ins Vertrauen. Ich werde nachher unser Gespräch fortsetzen.“
„Bringen Sie ihn dazu, seine Aktionen rückgängig zu machen. Der Ausfall sämtlicher Computersysteme führt langsam aber sicher zum vollständigen Chaos. Hier ist die Hölle los, und bei unseren europäischen Nachbarn sieht es ebenso aus. Versprechen Sie ihm von mir aus, was Sie wollen. Wenden Sie Gewalt an, wenn es sein muss, doch bringen Sie den Wahnsinnigen zur Vernunft!“
„Herr Premierminister, ich fürchte, wir müssen davon ausgehen, dass die Schäden an den Computersystemen irreparabel sind. Die Datenbanken sind unwiederbringlich zerstört“, sagte Brian.
„Unsere Experten sind dran, aber wenn sie ein System neu aufsetzen, fällt es kurz darauf wieder aus. Die Datenspeicher füllen sich, bis die Computersysteme aussteigen. Aber lassen wir das. Ich habe noch eine Menge anderer Dinge zu erledigen. Wenn Sie etwas haben, melden Sie sich. Wir haben übrigens Kontakt zur Chinesischen Botschaft. Sie stehen mit Peking in Verbindung und haben unsere Anfrage kommentarlos entgegengenommen, bis jetzt haben wir keine Rückmeldung. Ich glaube im Übrigen nicht, dass Präsident Feng herkommen wird. In China herrscht sicherlich das gleiche Chaos, und was soll das überhaupt bringen, wenn die Schäden irreparabel sind?“
„Herr Premierminister, es geht um den Zugang zum Wissen der Menschheit der letzten fünfzig Jahre. Feist dürfte von einer Vielzahl von Datenbanken Kopien erstellt und sicher abgespeichert haben. Wenn wir den Zugriff darauf nicht bekommen, fallen wir um Jahrzehnte zurück.“
„Nun, dann wissen Sie, was Sie zu tun haben, Leutnant Fletcher. Stellen Sie sicher, dass wir Zugriff auf die Daten bekommen. Auf Wiedersehen, Frau Taydon, Leutnant.“ Mit diesen Worten verschwand der Premierminister aus dem Bild.
Neun Tage nach dem Zusammenbruch aller Computersysteme herrschte in Tobias’ Haus und in der kleinen Ortschaft Aberystwyth Postkartenidylle, während im Rest der Welt das Drama seinen Lauf nahm. In den großen Städten wurde die Nahrung knapp, denn die gesamte Versorgungslogistik war zusammengebrochen. Über acht Milliarden Menschen brauchten Nahrung, und der Bedarf konnte von einem auf den anderen Tag nicht mehr gedeckt werden. Die Menschen rotteten sich zusammen, stürmten und plünderten Fabriken und Lagerhäuser.
Die ersten Stadtbewohner flohen in die ländlichen Regionen, ihnen sollten Millionen Menschen folgen. Die Landbevölkerung organisierte sich, je kleiner die Kommunen und je weiter weg von den Ballungsräumen sie waren, desto leichter fiel es den Leuten dort, neue Strukturen zu schaffen und sich selbst zu versorgen.
Ebenso sah es bei der Wasser- und Energieversorgung und auch bei der Entsorgung aus. Die Müllabfuhr und die Abwasserreinigung funktionierten nicht mehr, es war nur eine Frage von wenigen Wochen, bis Seuchen ausbrechen würden.
Wo die Menschen den ersten Schock überwunden hatten und eine gewisse Ordnung aufrechterhielten, wurden Schuldige gesucht. Längst vergessene Stammesfehden und lokale Konflikte brachen wieder auf.
Und niemand wusste, was eigentlich los war. Gerüchte blühten auf. Sie reichten von Kriegen und Atombomben bis zur Explosion eines Supervulkans, dem Absturz eines Meteors oder dem Angriff von Außerirdischen.
In dieser chaotischen Welt gab es einige wenige Oasen, neben der in Aberystwyth. Diese Oasen waren militärisch gesichert und verfügten über ausreichend Nahrungsmittel und sonstige Ressourcen. Selbst die Stromversorgung war dort sichergestellt. Es waren ausnahmslos Orte, die sich weit weg von Ballungsgebieten befanden und in denen nur wenige Menschen lebten. Diese Orte waren Teil des Projektes Arche Noah .
Brian schaute auf seinen linken Unterarm, zum x-ten Mal in der letzen Stunde. Davon kam das myCom allerdings auch nicht wieder. Der nächste Blick ging zum rechten Handgelenk, an dem er seine Armbanduhr trug. Der Sekundenzeiger kroch wie eine Schnecke. Seine Uhr war über fünfzig Jahre alt, ein klassisches analoges Modell, unverwüstlich und funktionsfähig. Wer hätte gedacht, dass dieses Museumsstück das myCom eines Tages ausstechen würde.
Er musste sich beherrschen. Tobias erwartete ihn ab 14 Uhr, und das hieß ab genau 14 Uhr und nicht früher. So war es immer schon gewesen, das Genie gab den Takt vor und alle hatten sich von Anfang an
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