Homo ambrosius (Die Chimären) (German Edition)
die speziell für den Einsatz in Luxuspflegezentren entwickelt wurde, zur Unterhaltung der Alten und Kranken. Die Software ist darauf spezialisiert, Gedächtnisbilder zu optimieren. Die Elektronik kommt aus den neuesten HMD-Modellen, die speziell für den militärischen Einsatz geschaffen wurden. Na ja, und jetzt ist es ein wenig mehr.“ Tobias feixte. „Wenn du willst, kannst du damit sogar auf Safari gehen. Am Schluss kannst du nicht mehr unterscheiden, ob die Informationen vorher in deinem Gedächtnis waren oder vom Computer kommen. Absolut genial! Wir können zusammen auf den Mond fliegen!“
Brian war sprachlos, und zwar so sprachlos, dass er Tobias’ Redeschwall nicht unterbrechen konnte. Vor einigen Monaten hatte er ein HMD aufgehabt, einen der neuesten Prototypen, aber der war im Vergleich zu Tobias’ Spielzeug geradezu primitiv. Endlich fand er seine Stimme wieder. „Auf Safari oder zum Mond? Später vielleicht, jetzt nicht. Aber ich bin beeindruckt, das ist ja eine wahnsinnige Leistung.“
„Ja, so ist es richtig, Brian, du musst ihn loben und ihm Anerkennung zollen, dann wird er dir alle Geheimnisse erzählen.“ Jetzt saß ihm nicht mehr Tobias, sondern Mary gegenüber. Er fühlte sich ertappt.
„Das ist schon in Ordnung, Brian“, sagte der Avatar, der nun wieder wie Tobias aussah. „Ich wusste, dass sie dich nicht alleine herschicken, und Mary Taydon ist vielleicht die beste Option. Auf jeden Fall um Welten besser als Bob Bloth.“
„Du hast gewusst, dass sie mich herschicken?“
„Mit einer Wahrscheinlichkeit von neunundneunzig Prozent. Du warst über Jahrzehnte mein Vorgesetzter, du giltst als mein Freund. Wer wäre besser für den Job geeignet als du. Du kennst mich schon ewig und ich vertraue dir, nicht wahr? Aber nach dem, was in deiner Personalakte steht …“ Tobias vollendete den Satz nicht, mit der linken Hand wies er auf einen kleinen Tisch, der zwischen den beiden Stühlen stand. Brian hatte ihn bisher nicht bemerkt. Auf dem Tisch lag eine dicke zerfledderte Personalmappe.
Brian wurde es leicht schwindlig. Er schloss die Augen und schluckte krampfhaft.
„Das kommt am Anfang immer mal wieder vor, dieses Schwindelgefühl“, sagte Tobias. „Es ist eine Art Seekrankheit, zwischen Realität und Virtualität verliert dein geistiger Gleichgewichtssinn die Orientierung. Am besten denkst du jetzt an transparente Sicht , dann wird das Bild durch die tatsächliche Umgebung ersetzt.“
Gleich darauf war Brian im Arbeitszimmer auf seinem Stuhl, und Tobias saß im Rollstuhl mit dem HMD auf dem Kopf. „Erstaunlich! Wieso sehe ich eine alte Personalmappe, obwohl wir seit über zwanzig Jahren nichts Schriftliches mehr führen?“
„Du siehst das, was dein Gehirn mit dem Begriff Personalakte verbindet. Das ist bei dir und übrigens auch bei mir dieses Bild von der alten Mappe. Wenn mehrere Anwender der HMDs ähnliche oder gleiche Bilder haben, werden die Bilder so optimiert, dass eine Art Idealbild entsteht. Pass auf, schau mal, wer dort bei den Rosen steht.“
Sie waren wieder im Garten. Bei den Rosen stand ein Mann, den Brian nicht sofort erkannte, der ihm aber sehr bekannt vorkam. Die Gesichtszüge des Mannes wurden ausgeprägter, die Figur passte sich seinen Erinnerungen an.
„Sir Robert John Sawers“, sagte er verblüfft.
„Ja, unser früherer Chef. Ich hab ihn nur einmal getroffen, deswegen war das Bild erst nicht ganz klar. Du kannst auch Daten zu ihm abrufen.“ Kaum hatte Tobias das gesagt, erschienen Daten neben Sawers, der sie jetzt anlächelte und grüßend nickte. „ Sir Robert John Sawers, geboren: 26. Juli 1955 in Warwick, ehemals britischer Diplomat. Von November 2009 bis Dezember 2020 Chef des Secret Intelligence Service, MI6 “, las Brian.
Sein Blick wanderte zurück zum Tisch und blieb an seiner Personalakte hängen. Sekunden später hielt er sie in den Händen und schlug sie auf der letzten Seite auf, er überflog sie. „Das Schwein, er hat mich eiskalt ausmanövriert.“
„So kann man es sagen. Bei mir hat er es auch gemacht.“ Auf dem Tisch lag jetzt eine zweite Personalakte, Tobias’ Akte. Brian griff danach und las die letzten Einträge, die einzigen in der dicken Akte, die nicht von ihm waren.
„Er wollte dich also schon immer loswerden“, kommentierte Brian.
„Er ist uns beide losgeworden!“
„ B&B war schon immer karrieregeil, er hatte nie Skrupel, Kollegen über die Klinge springen zu lassen. Mir schwante schon so was, als er Chef der
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