Homo ambrosius (Die Organhändler) (German Edition)
Hörer abnahm. „Polinski“, meldete er sich. Als der Anrufer zu sprechen begann, war er sofort hellwach. „Sie haben eine Niere für mich? In Indien? Ich muss Urlaub beantragen und den Flug organisieren. Nächste Woche könnte ich fliegen. Oh mein Gott, wirklich?“
Für einen Moment bekam er nichts mehr mit, die Tränen liefen. Endlich realisierte er, dass sein Name gerufen wurde.
„Ja, ich bin noch da, entschuldigen Sie. Ein Auftrag?“ Er hörte zu. „Vernichten reicht? Sie wollen keine Kopien? Sie wissen, dass die Dokumente eingescannt wurden? Gut, wenn Sie meinen, ich schaue, was ich tun kann. Ja, ich melde mich nur, wenn es nicht geklappt hat.“
Mit dem Rücken an der Wand rutschte er langsam hinunter, bis er auf dem Boden saß. Der Anrufer hatte längst aufgelegt. Den Hörer hielt er immer noch in der Hand.
Er bekam sein Leben zurück. Keine Ungewissheit mehr, keine Angst. Nicht mehr jede Woche zur Dialyse. Wieder gesund werden, wieder in den aktiven Dienst, wieder Frauen.
Er stand auf, ging ins Badezimmer und wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser. Im Spiegel nickte er sich grimmig zu: „Du bist wieder im Spiel, und ein Dokument mehr oder weniger spielt keine Rolle, auf dem Server ist ja auch eine Kopie davon“, beruhigte er sein Gewissen.
Er zog sich an und machte sich auf den Weg. Gegen 22 Uhr betrat er das BKA-Gebäude und ging zuerst in sein Büro. Er legte seinen Mantel auf seinen Schreibtisch und tauschte bei seinem Aktenvernichter den halbgefüllten Auffangsack gegen einen neuen aus. Dann ging er zu Jakob Schells Büro.
In mehreren Büros brannte noch Licht, was nicht ungewöhnlich war. Der Job brachte unregelmäßige Arbeitszeiten mit sich und die Kollegen, die ihm begegneten, dachten vermutlich, er sei aus ähnlichen Gründen wie sie selbst noch aktiv.
Als er das Stockwerk betrat, in dem sich die zwei Büros der Abteilung Jakob Schells befanden, war nur noch in zwei anderen Büros Licht. Das kam ihm entgegen, schließlich wollte er möglichst nicht entdeckt werden. Er ging zu Schells Raum, öffnete die Bürotür, die zum Glück nicht verschlossen war, und schaltete das Licht an. Sein Blick fiel sofort auf die zwei Fächer – das eine für den Postausgang, das andere für den Posteingang.
Er nahm den Umschlag im Posteingang heraus, öffnete ihn und fand das geforderte Dokument. Er durchsuchte noch in beiden Büros routiniert und systematisch alle Schränke und Schubladen, fand jedoch keine weiteren Kopien.
Sechs Minuten später verließ er die Büros wieder, ohne dass ihn jemand gesehen hatte. In seinem Büro gab er die Papiere und den Umschlag in den Schredder. Den Sack mit den aufgefangenen Schnipseln tauschte er gegen den alten, halbvollen aus. Den gerade benutzten Sack warf er in den Schlitz des plombierten zentralen Sammelcontainers direkt neben dem Lift.
Sie hatten sich wirklich alle Mühe gegeben, ihren Server zu schützen. In den letzten Wochen hatte Tobias sich immer wieder vorsichtig angenähert und schnell festgestellt, dass der Server mit dem heiklen Material von Profis überwacht wurde. Der Server stand bei einem Provider am Stadtrand von Lyon und alles sprach dafür, dass hinter der Sache eine kriminelle Organisation steckte.
Er hatte viel übles Zeug auf ihren Datenbanken gefunden, alles hochkomplex verschlüsselt, unter anderem eine Plattform, auf der Versteigerungen stattfanden, hier ging es eindeutig um Menschenhandel. Er war schon lange nicht mehr so motiviert gewesen, ein System zu hacken.
Sein Eindringen wurde nicht bemerkt. Auch die Software, die er vor wenigen Tagen installiert hatte und die er für das Kopieren des Servers benötigte, war noch aktiv. Sobald er loslegte, würde die Überwachung auf der Gegenseite den Angriff registrieren. Er musste sie nur lang genug beschäftigen und hoffen, dass nicht jemand auf die Idee kam, einfach die Kabel, über die die Kommunikation lief, herauszuziehen – das war die einfachste, schnellste und effektivste Abwehrmaßnahme.
Seine Idee war, die eine kriminelle Organisation mithilfe der anderen auszuschalten. Auf seine stille Art lachte er in sich hinein, wenn er daran dachte. Er hätte das Ganze gerne Jakob gezeigt, er war sicher, dass sein Chef stolz auf ihn wäre. Andererseits befürchtete er, dass Jakob seine Strategie, Feuer mit Feuer zu bekämpfen, kaum gutheißen würde.
Er hatte sich beizeiten ausführlich über das Projekt ProtectThe_Kids informiert, hatte Kontakt mit Simon_the_King aufgenommen und
Weitere Kostenlose Bücher