Honecker privat
Sicherheit ausgesprochen worden war.
Tatsache ist ferner: Uns wurde ebenfalls untersagt, irgendwelche dienstlichen oder privaten Themen zu erörtern. Dieser Angst vor Richtmikrofonen begegnete man auch mit Musik, die uns zunehmend auf die Nerven ging. Die dafür zuständigen Genossen hatten offensichtlich nur ein Tonband mit Schnulzen aus den 50er und frühen 60er Jahre dabei, das wieder und wieder aufgelegt wurde. Der Schmalz tropfte unablässig aus den Zuglautsprechern und uns aufs Gemüt.
In der von Stoph geführten Delegation saß auch der rundliche Dr. Michael Kohl, Staatssekretär für innerdeutsche Fragen, den ich in den nachfolgenden Monaten und Jahren wiederholt im Flugzeug nach Bonn begleiten sollte. Er vertrat die DDR in den Verhandlungen zum Transitabkommen, zum Verkehrs-und schließlich zum Grundlagenvertrag. 1974 übernahm er bei deren Öffnung die Leitung der Ständigen Vertretung der DDR in der Bundeshauptstadt, nach vier Jahren folgte ihm dort Botschafter Ewald Moldt.
Kassel endete wie schon Erfurt zuvor ohne Ergebnis.
Die salomonische Formel, von Stoph eingebracht, lautete »Denkpause«. Moskau verhandelte seit fünf Monaten mit Bonn direkt, da störten die Alleingänge der DDR-Führung, die offenkundig zurückgepfiffen wurde. »Der Gegner wird versuchen, einen Keil zwischen uns zu treiben. Dies darf ihm nicht gelingen«, sollte Breshnew am 28. Juli 1970 Honecker erklären.
Der neue Regierungszug kam nun wiederholt zum Einsatz. Ulbrichts Ärzte hatten empfohlen, dass der 77-Jährige nicht mehr fliegen sollte. So reiste er zum Staatsbesuch nach Prag mit der Bahn, von dort ging es weiter nach Warschau und retour nach Berlin. Die einwöchige Reise nannten wir »Friedensfahrt
«, denn bekanntlich fand jedes Jahr im Mai der Welt größtes Amateurrennen Berlin-Prag-Warschau statt, das eben jenen Namen trug.
Lernen, lernen, nochmals lernen
Gemäß diesem Lenin zugeschriebenen Appell musste auch ich zeitlebens zumindest in der DDR die Schulbank drücken. Ich war ausgebildeter Kellner, was aber nicht ausreichte. Schon nach wenigen Jahren in Wandlitz meinten meine Vorgesetzten, ich müsse mich zum Serviermeister qualifizieren. Warum nicht? Allerdings setzte der Besuch eines entsprechenden Lehrgangs den Abschluss der 10. Klasse voraus, die ich aber nicht absolviert hatte.
Also musste ich zunächst im »Abendstudium«, nach der Schicht und zwischen den Dienstreisen, die zwei Schuljahre in einem Jahr nachholen. Dem schloss sich sogleich der Meisterlehrgang an. Im Mai 1971 war ich dann endlich Serviermeister.
Im Internet stellte jemand jüngst die Frage, er habe in einem alten DEFA-Film die Berufsbezeichnung
»Serviermeister« gehört, ob ihm jemand sagen könne, was das sei. Darauf antwortete ihm eine Arbeitsagentur am 28. September 2005: »Dieser Beruf der ehemaligen DDR basierte auf einer berufsbegleitenden Weiterbildung, die man nach einer einschlägigen Facharbeiterausbildung absolvieren konnte. Serviermeister/innen übernahmen anspruchsvolle Aufgaben bei der Bewirtung von Gästen in Restaurants, Gasthäusern oder Hotels. Sie waren für eine größere Anzahl von Tischen verantwortlich, erstellten Dienstpläne sowie Kalkulationen für den Servicebetrieb und leiteten Mitarbeiter/innen an. Darüber hinaus empfingen sie die Gäste, boten ihnen einen Tisch an oder empfahlen die Spezialitäten der Tageskarte. Auch das Zubereiten am Tisch, beispielsweise einer flambierten Speise, konnte zu ihren Aufgaben gehören. Meist wirkten sie auch bei der berufspraktischen Ausbildung des Facharbeiternachwuchses mit.« Und dann hieß es noch: »Vergleichbare Berufe der Bundesrepublik Deutschland: Oberkellner/in, Restaurantmeister/in.«
Selten habe ich derart sachlich und präzise eine Profession in der DDR in einer westdeutschen Quelle dargestellt gesehen. Denn genau das war nun meine Tätigkeit. Hinzu kamen, was mit meiner Anbindung zusammenhing, natürlich auch Betreuungs-und Sicherungsaufgaben, die jedoch nichts mit diesem Berufsprofil ursächlich zu tun hatten. Folglich bestand zwischen beiden kein kausaler, allenfalls ein zeitlicher Zusammenhang.
Gleichwohl: Wenige Wochen nach dem Meisterlehrgang hieß es, dass ich mich fortan ausschließlich um Erich Honecker kümmern solle. Ich war noch keine 30, er noch keine 60 und der »Kronprinz«. Jeder wusste, dass EH Nachfolger von Walter Ulbricht werden würde. Außer den Gerüchten mehrten sich auch die Indizien. So hatte bereits im Dezember 1970, auf dem 14.
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