Honecker privat
Plenum, dessen Hauptgegenstand der Volkswirtschaftsplan des folgenden Jahres war, Honecker die Kollektivität der Parteiführung herausgestellt, was die Kaffeesatzleser als indirekte Kritik an Ulbricht und dessen selbstbewussten Alleingängen interpretierten. Da das Schlusswort des Ersten Sekretärs auf der ZK-Tagung entgegen aller bisher geübten Praxis anderentags nicht im Zentralorgan zu lesen war, erhärtete sich die Vermutung, dass ein Wechsel an der Parteispitze unmittelbar bevorstünde. Dieser erfolgte schließlich Anfang Mai 1971.
Ulbricht war mehr oder minder genötigt worden, »aus gesundheitlichen Gründen« seine Parteifunktion abzugeben. Die Wahl seines Nachfolgers hatte auf dem Parteitag zu erfolgen. Das geschah Mitte Juni. Formal blieb Ulbricht Vorsitzender des Staatsrates, doch in dieser Funktion amtierte Friedrich Ebert, der Sohn des einstigen Reichspräsidenten. Letztmalig hatte ich eine von Ulbricht geführte Parteidelegation zum XXIV. Parteitag der KPdSU im März 1971 nach Moskau begleitet. Dort hatte Ulbricht in seinem Grußwort noch daran erinnert, dass er zu den wenigen im Saal gehöre, die Lenin persönlich gekannt hätten, was von einigen leicht indigniert aufgenommen worden war. Breshnew soll, so hieß es später, ihm anschließend – und das nicht zum ersten Mal – den Rücktritt nahegelegt haben. Vier Wochen später folgte WU diesem »Ratschlag« und räumte seinen Platz für EH.
Honecker hatte zuvor bereits etliche Delegationen, die an Parteitagen der Bruderparteien, welche traditionell unmittelbar nach dem KPdSU-Parteitag stattfanden, geleitet. Bei diesen Reisen nahm ich Betreuungsaufgaben wahr. Ich hatte auch schon wiederholt an Wochenenden im Freizeitobjekt Wildfang in der Schorfheide für ihn gekellnert. Zum Anwesen unweit von Klosterfelde gehörte auch ein Badesee mit Bootshaus. Er nutzte das Objekt mit Frau und Tochter Sonja, später kamen noch Schwiegersohn und Enkel dazu. Von dort aus brach Honecker während der Jagdsaison auch zur Pirsch auf, wobei ihn meist Günter Mittag und Erich Mielke begleiteten.
Gelegentlich nahm an den Jagdausflügen auch Pjotr Abrassimow teil, der von 1975 bis 1983 Botschafter in der DDR war. Bereits zum zweiten Mal, denn der Russe mit den blau getönten Haaren vertrat sein Land schon einmal von 1962 bis 1971 in Berlin. Das anmaßende und selbstherrliche Auftreten des eitlen Diplomaten, der unter der Hand nur »Regierender Botschafter« hieß, veranlasste später Honecker, auf seine Abberufung zu drängen. Unter Breshnews Nachfolger Andropow war seine Intervention erfolgreich. Auf Abrassimow folgte Kotschemassow, den Honecker bereits aus der Jugendbewegung kannte. Aber auch aus charakterlichen Gründen verstanden sich beide recht gut. Kotschemassow begleitete Honecker nie auf der Jagd.
Die Jagdausflüge mit Mittag, Mielke und anderen Politbüromitgliedern, von denen die meisten ein eigenes Revier hatten – Mielke in Wolletz, Stoph im Birkenheide usw. –, gerieten bald zu einem Wettbewerb zwischen den Schützen, was, worauf ich noch eingehen werde, anfänglich auch bei der jährlichen Diplomatenjagd deutlich wurde. Das eigentliche Anliegen des Waidmanns, nämlich die Hege und Pflege des Tierbestandes in seinem Jagdrevier, wozu – in Ermangelung natürlicher Feinde – auch die Begrenzung des Wildschwein- und Rotwildbestandes gehören, trat damit sukzessive in den Hintergrund. Man schmückte sich mit Abschusszahlen und Trophäen.
Speisen und Getränke für diese Jagdausflüge kaufte Honecker anfänglich im Ladenkombinat in Wandlitz, er bezahlte auch selbst in bar. Seine Personenschützer bereiteten dann den Tisch für den Jagdimbiss draußen im Wald vor. Später kaufte sein erster Personenschützer Adelhart Winkler dort ein und bestellte das Leib- und Magengericht in der Restaurantküche: Kassler im Strang geschmort. Damit fuhr der Kellner, also ich, nach Wildfang, richtete den Tisch her und kehrte wieder nach Wandlitz zurück. Den Rest besorgte Honecker selbst oder einer seiner Personenschützer.
Margot Honecker, als Volksbildungsministerin eine viel beschäftigte Frau, griff nur gelegentlich auf unsere Dienste zurück, meist nur an Wochenenden, wenn sie in Wandlitz die Familie zu Gast hatte. Sie orderte dann bei uns meist sehr kurzfristig etwas zum Mittagessen, nichts Aufwendiges, das die Küche etwa vor Probleme gestellt hätte, sondern einfache, rasch zubereitete Gerichte. Man spürte, dass sie auch an das Küchenpersonal dachte. Die Speisen
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