Honecker privat
(Ulbricht), denn das hatte der Westen nicht aufzubieten.
Die beiden Kosmonauten waren auf dem sowjetischen Militärflugplatz in Sperenberg gelandet, von dort holte ich sie mit dem Sonderzug ab. Ich bediente die beiden auch auf der Staatsyacht »Albin Köbis«, als sie auf den Berliner Gewässern unterwegs waren. Die beiden Russen hatten eine Aura, wirkten bescheiden und bodenständig, es waren einfache, unkomplizierte Menschen. Darin waren wir uns ähnlich. Es gab zwischen uns keine Kluft, weder mental noch im Alter – die zwei waren nur unwesentlich älter als ich.
Am 19. März 1970 trafen DDR-Ministerpräsident Willi Stoph und Bundeskanzler Willy Brandt erstmals zusammen. Es war das überhaupt erste deutsch-deutsche Gipfeltreffen. Weder Bundeskanzler Adenauer noch seine Nachfolger Erhard und Kiesinger hatten sich in den verflossenen zwanzig Jahren herabgelassen, mit einem Spitzenpolitiker aus der anderen deutschen Republik zu reden. Für sie existierte dieser Staat so wenig wie dessen Führungspersonal. Der erste Sozialdemokrat im Bundeskanzleramt, im krassen Unterschied zu seinen Vorgängern ein ausgewiesener Antifaschist, hatte die Realität zur Kenntnis genommen und versuchte damit umzugehen. Darauf gründete die neue Ostpolitik der von ihm geführten sozialliberalen Koalition. Das damals gebräuchliche Attribut »neu« war insofern ein wenig irreführend, als es zuvor keine Ostpolitik gegeben hatte. Zumindest verdiente die Bonner Arroganz und der Alleinvertretungsanspruch diese Bezeichnung nicht.
Die erste Begegnung der beiden Regierungschefs war Ausdruck einer gewissen Entspannung. Ihr symbolischer Wert war höher zu veranschlagen als ihr politischer Gewinn, zumal beide Führungsmächte, besonders die östliche, diese vermeintliche Annäherung mit Skepsis und Argwohn beobachteten.
Das Treffen fand im Hotel »Erfurter Hof« statt, wo der Bundeskanzler abgestiegen war. Willi Stoph wohnte im Gästehaus der SED-Bezirksleitung am Stadtrand. Dorthin war ich mit einem Koch abkommandiert. Für die Betreuung vor Ort sorgte das Personal des Hotels.
Bekanntlich durchbrachen die Erfurter die Absperrungen und skandierten auf dem Bahnhofsvorplatz: »Willy, Willy« und »Willy Brandt ans Fenster«. Später ging das Gerücht, dass dies Teil einer Inszenierung gewesen wäre, hinter der angeblich Honecker steckte. Man habe damit zeigen wollen, dass Ulbricht die Lage nicht mehr beherrschte und reif für seine Ablösung sei. Ob dies zutraf oder nicht, vermag ich nicht zu beurteilen. Tatsache ist, dass nach dem zweiten Treffen von Stoph und Brandt in Kassel am 21. Mai Honecker und Breshnew miteinander sprachen. »Du kannst mir glauben, Erich, die Lage, wie sie sich bei euch so unerwartet entwickelt hat, hat mich tief beunruhigt«, erklärte der KPdSUGeneralsekretär. »Ich sage dir ganz offen, es wird ihm (Ulbricht – L. H.) auch nicht möglich sein, an uns vorbei zu regieren, unüberlegte Schritte gegen dich und andere Genossen des Politbüros zu unternehmen. Wir haben doch Truppen bei euch. Erich, ich sage dir offen, vergiss das nie: Die DDR kann ohne uns, ohne die Sowjetunion, ihre Macht und Stärke, nicht existieren. Ohne uns gibt es keine DDR.«
Die Gespräche im »Erfurter Hof« dauerten sehr lange, wir warteten geraume Zeit auf Stoph. Der fuhr jedoch unmittelbar nach seinem Treffen mit Brandt nach Oberhof, wo sich Ulbricht aufhielt. Erst gegen Morgen kehrte er von dort ins Gästehaus zurück. Stoph wollte weder etwas essen noch trinken und zog sich gleich in sein Zimmer zurück. Er wirkte so mürrisch und sauertöpfisch wie immer. Stunden später erschien er zum Frühstück, danach erhob er sich wortlos und fuhr mit dem Wagen nach Berlin zurück.
Die Dienstfahrt nach Kassel zwei Monate später war die Jungfernfahrt jenes neuen Regierungszuges, der nach dem Muster von Tito gebaut worden war. Er sorgte mit dem Staatswappen an den Waggons für ein gewisses Aufsehen, und antikommunistische Krawallmacher machten Stimmung. So rissen sie demonstrativ und vor den Kameras der Presse eine DDR-Fahne herunter und zerfetzten diese. Auf solche Weise bekamen wir einen tief sitzenden Hass vor Augen geführt, den wir kaum für möglich gehalten hätten: Wir befanden uns sichtlich auf feindlichem Territorium, auf dem Boden des Klassengegners. Ich glaube aber nicht, dass man uns ausschließlich aus Sorge um unsere Sicherheit nicht den Zug verlassen ließ, wobei nicht klar war, ob das Verbot von bundesdeutscher Seite oder von unserer
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