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Honig

Honig

Titel: Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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bekanntzugeben. Warum soll ich mir von dir sagen lassen, mit wem ich zusammen sein darf?«
    Er hörte nicht zu. Er presste stöhnend einen Handballen an die Stirn. »O Gott«, flüsterte er. »Was habe ich nur getan?«
    Ich wartete. Meine Schuldgefühle waren eine formlose schwarze Masse, die immer größer wurde und mich zu verschlingen drohte. Ich hatte mit ihm geflirtet, ihn angemacht, ihn dazu gebracht, seine Verlobte in die Wüste zu schicken, sein Leben ruiniert. Es würde nicht einfach sein, standhaft zu bleiben.
    Abrupt sagte er: »Hast du was zu trinken da?«
    »Nein.«
    Hinter dem Toaster stand eine Miniflasche Sherry. [315] Davon würde ihm nur schlecht, außerdem wollte ich ihn bald aus dem Haus haben.
    »Sag mir eins. Was war das heute Morgen auf dem Flur?«
    »Keine Ahnung. Nichts.«
    »Du hast mit mir gespielt, Serena. So eine bist du nämlich.«
    Das war keine Antwort wert. Ich starrte ihn nur an. Von seinem Mundwinkel hing ein Speichelfaden herab. Er bemerkte meinen Blick und fuhr sich mit dem Handrücken über die Lippen.
    »Damit wirst du Honig kaputtmachen.«
    »Tu nicht so, als ob es dir darum gehen würde. Du hältst doch sowieso nichts von der ganzen Sache.«
    Zu meiner Überraschung sagte er: »Da hast du verdammt recht.« Das war die grobe Offenheit eines Betrunkenen, und jetzt wollte er mir weh tun. »Die Frauen in deiner Abteilung, Belinda, Anne, Hilary, Wendy und die anderen. Schon mal gefragt, was für Abschlüsse die haben?«
    »Nein.«
    »Schade. Alles erstklassig, lauter Einsen, summa cum laude. Altphilologie, Geschichte, Anglistik.«
    »Schlauer Verein.«
    »Sogar deine Freundin Shirley.«
    »Sogar?«
    »Schon mal überlegt, warum man dich genommen hat? Mit einer Drei? In Mathe?«
    Er wartete, aber ich antwortete nicht.
    »Canning hat dich rekrutiert. Also dachte man sich, besser, du bist drin, mal sehen, ob es jemanden gibt, dem du was weitererzählst. Man weiß ja nie. Man hat dich ein [316] bisschen beschattet, einen Blick in dein Zimmer geworfen. Das Übliche. Man hat dir Honig gegeben, weil das eine eher läppische Aktion ist, harmlos. Hat dich Chas Mount zugeteilt, weil der eine Flasche ist. Aber du warst eine Enttäuschung, Serena. Du hattest keinen auf der anderen Seite. Du warst bloß irgendein Mädchen, so dumm wie der Rest, froh, einen Job zu haben. Canning hat dir da einen Gefallen getan. Meine Theorie ist, er wollte was wiedergutmachen.«
    Ich sagte: »Ich glaube, er hat mich geliebt.«
    »Na, da hast du’s ja. Er wollte dich einfach glücklich machen.«
    »Hat dich schon mal jemand geliebt, Max?«
    »Du miese Schlampe.«
    Die Beleidigung machte es mir leichter. Es wurde Zeit, dass er ging. In der Küche war es jetzt erträglich, aber die Wärme, die die Gasflammen abgaben, war irgendwie klamm. Ich stand auf, zog den Morgenmantel fest um mich und drehte das Gas ab.
    »Und warum verlässt du dann deine Verlobte für mich?«
    Aber wir waren noch nicht ganz am Ende angelangt, denn plötzlich schlug seine Stimmung um. Er weinte. Oder wurde jedenfalls weinerlich. Seine Lippen verzogen sich zu einem abscheulichen Grinsen.
    »O Gott«, rief er mit gepresster Stimme. »Verzeih mir, verzeih. Ich nehm das zurück. Du hast das nicht gehört, ich hab das nicht gesagt. Serena, es tut mir leid.«
    »Schon gut«, sagte ich. »Schon vergessen. Aber du solltest jetzt gehen.«
    Er stand auf und wühlte in seiner Hosentasche nach einem Taschentuch. Er schneuzte sich ausgiebig, noch immer [317] weinend. »Ich habe alles kaputtgemacht. Ich bin ein verdammter Idiot.«
    Ich führte ihn durch den Flur zurück zur Haustür und machte sie auf.
    Auf den Stufen vor der Tür kam es zu einem letzten Wortwechsel. Er sagte: »Versprich mir eins, Serena.«
    Er griff nach meinen Händen. Er tat mir leid, aber ich wich zurück. Das war nicht der Moment, Händchen zu halten.
    »Versprich mir, noch einmal darüber nachzudenken. Bitte. Nur das. Wenn ich es mir anders überlegen konnte, kannst du es auch.«
    »Ich bin furchtbar müde, Max.«
    Er schien sich zu fangen. Er holte tief Luft. »Hör zu. Es kann sein, dass du einen schweren Fehler machst mit Tom Haley.«
    »Geh da lang und nimm dir auf der Camden Road ein Taxi.«
    Er stand auf der unteren Stufe und sah flehentlich und anklagend zu mir hoch, als ich die Tür zumachte. Ich blieb unschlüssig dahinter stehen, und obwohl ich ihn dann weggehen hörte, legte ich, ehe ich ins Bett zurückging, die Sicherheitskette vor.

[318] 17
    An einem

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