Honig
nächste stellte. Wovon er lebe, wann wir denn heiraten [321] würden, ob Tom Russell Hoban gelesen habe, ob ihm bewusst sei, dass erst tags zuvor der sonst so zurückgezogene Thomas Pynchon auf ebendiesem Stuhl gesessen habe, ob er Martin Amis kenne, den Sohn von Kingsley, ob er Madhur Jaffrey kennenlernen möchte? Maschler erinnerte mich an einen italienischen Tennislehrer, der einmal zu uns in die Schule gekommen war und einen Nachmittag lang ebenso ungeduldig wie jovial meine Rückhand mit mir trainiert hatte. Der Verleger war schlank und braungebrannt, wissensdurstig und angenehm aufgekratzt, als liege ihm ständig ein Witz auf der Zunge oder als könnte ihn irgendeine zufällige Bemerkung im nächsten Moment auf eine revolutionäre neue Idee bringen.
Dankbar, nicht ins Gespräch gezogen zu werden, ging ich auf die andere Seite des Raums und blickte auf die winterlichen Bäume auf dem Bedford Square hinaus. Ich hörte Tom, meinen Tom, sagen, er lebe von seiner Dozententätigkeit, er habe weder Hundert Jahre Einsamkeit noch Jonathan Millers Buch über McLuhan gelesen, wolle das aber tun, und, nein, er habe noch keine klare Vorstellung von seinem nächsten Roman. Die Frage nach der Hochzeit überging er. Er halte Philip Roth ebenfalls für ein Genie und Portnoys Beschwerden für ein Meisterwerk, und die englischen Übersetzungen von Nerudas Sonetten seien in der Tat bemerkenswert. Tom sprach wie ich kein Spanisch und konnte das überhaupt nicht beurteilen. Roths Roman hatten wir zu diesem Zeitpunkt beide noch nicht gelesen. Seine Antworten waren zurückhaltend bis nichtssagend, und mir wäre es nicht anders ergangen – wir waren naive Landeier, überwältigt vom schieren Tempo und [322] Anspielungsreichtum von Maschlers Redeschwall, und so schien es nur recht und billig, dass wir nach zehn Minuten verabschiedet wurden. Wir waren zu langweilig. Er begleitete uns noch bis zur Treppe. Er hätte uns gern zum Lunch bei seinem Lieblingsgriechen in der Charlotte Street eingeladen, sagte er zum Abschied, aber er pflege nun einmal mittags nicht essen zu gehen. Und schon standen wir, ein wenig benommen, wieder auf dem Bürgersteig. Im Weitergehen beschäftigte uns noch eine ganze Weile die Frage, ob das Treffen nun »gut gelaufen« sei oder nicht. Tom meinte, im großen Ganzen ja, und ich stimmte ihm zu, obwohl das eigentlich nicht mein Eindruck gewesen war.
Aber das spielte keine Rolle, der Roman, der schreckliche Roman, war abgeliefert, wir würden bald auseinandergehen, es war Weihnachten – das musste gefeiert werden. Wir gingen Richtung Trafalgar Square, kamen an der National Portrait Gallery vorbei und schwelgten wie ein seit dreißig Jahren verheirates Paar in der Erinnerung an unser erstes Treffen dort: Hatten wir beide gedacht, das sei nur etwas für eine Nacht? Hätte sich einer von uns vorstellen können, was sich daraus ergeben würde? Dann machten wir kehrt, gingen zu Sheekey’s und bekamen sogar, obwohl wir nicht reserviert hatten, einen Tisch. Ich wollte nichts trinken. Ich musste nach Hause, packen, dann an der Liverpool Street Station den Fünf-Uhr-Zug noch erreichen und unterwegs meine Rolle als Geheimagentin ablegen und wieder zur pflichtbewussten Tochter werden, die sich im Gesundheits- und Sozialministerium fleißig nach oben arbeitete.
Aber lange vor der Seezunge kam ein Eiskübel und gleich [323] darauf eine Flasche Champagner, und schon war sie leer, und bevor die nächste gebracht wurde, griff Tom über den Tisch nach meiner Hand und sagte, er habe mir etwas zu beichten, zwar wolle er mich vor dem Abschied nicht beunruhigen, aber er müsse es mir sagen, sonst würde er kein Auge mehr zumachen können. Folgendes. Er habe keine Idee, nicht einmal den Ansatz einer Idee, für einen weiteren Roman und bezweifle, dass ihm jemals noch etwas einfallen würde. Aus dem Tiefland von Somerset – wir sprachen nur noch von Aus dem Tiefland – sei ein Glückstreffer gewesen, er sei da zufällig hineingestolpert, als er eine Kurzgeschichte über etwas ganz anderes zu schreiben geglaubt habe. Und kürzlich sei ihm, als er am Brighton Pavilion vorbeispazierte, eine einzelne, an sich belanglose Zeile aus einem Sonnett von Spenser in den Sinn gekommen – in Porphyr und Marmor treten sie vor uns hin –, Spenser in Rom, beim Betrachten der Altertümer der Stadt. Aber vielleicht müsse es ja nicht notwendig Rom sein. Auf einmal hatte Tom den Plan zu einem Artikel im Kopf gehabt, über die Beziehung der
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