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Honig

Honig

Titel: Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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schon nach dem Rausschmiss im Zug nach Hause sitzen und für meine Mutter eine plausible Geschichte vorbereiten. Ob der Bischof meine Abwesenheit überhaupt mitbekommen hätte? Ich stieg zwei Etagen hoch in einen mir bis dahin unbekannten Teil des Gebäudes, der ein kleines bisschen weniger schäbig war – die Korridore waren mit Teppichboden ausgelegt, der cremeweiße und grüne Anstrich der Wände blätterte nicht. Zaghaft klopfte ich an die Tür. Ein Mann kam heraus – er sah noch jünger aus als ich – und bat mich auf eine nervöse, aber freundliche Art, doch bitte kurz zu warten. Er deutete auf einen der knallorangen Plastikstühle, die neuerdings in fast jeder Amtsstube standen. Eine Viertelstunde verging, ehe er sich wieder blicken ließ und mir die Tür aufhielt.
    In gewisser Hinsicht fing die Geschichte hier an, in dem Augenblick, als ich dieses Büro betrat und meinen Auftrag erhielt. Tapp saß hinter seinem Schreibtisch und nickte mir mit ausdrucksloser Miene zu. Außer dem Mann, der mich [128] hineingebeten hatte, waren noch drei weitere im Raum. Der weitaus Älteste von ihnen, mit zurückgekämmtem Silberhaar, lümmelte in einem abgewetzten Ledersessel, die anderen saßen auf harten Bürostühlen. Max spitzte zum Gruß die Lippen. Ich wunderte mich nicht, ihn zu sehen, und lächelte nur. In einer Ecke stand ein großer Tresor. Dichter Rauch und feuchte Atemwolken hingen in der Luft. Die Besprechung hatte schon eine ganze Weile gedauert. Niemand stellte sich vor.
    Man wies mich auf einen der harten Stühle, dann rückten wir im Halbkreis vor dem Schreibtisch zusammen.
    »Also, Serena«, sagte Tapp. »Haben Sie sich gut eingelebt bei uns?«
    Ich antwortete, ich hätte mich gut eingelebt und sei mit der Arbeit zufrieden. Max wusste zwar, dass das nicht stimmte, aber das kümmerte mich nicht. Ich fügte hinzu: »Bin ich hier, weil Sie Grund zur Klage haben, Sir?«
    Tapp sagte: »Da brauchte es nicht fünf Mann dazu, um Ihnen das mitzuteilen.«
    Alles kicherte leise, und ich stimmte vorsichtshalber mit ein. Ein Ausdruck wie »Grund zur Klage« war mir noch nie zuvor über die Lippen gekommen.
    Dann wurde Konversation gemacht. Einer erkundigte sich nach meiner Wohnung, ein anderer nach meinem Arbeitsweg. Wir beklagten die Unzuverlässigkeit der Northern Line. Das Kantinenessen wurde mit sanftem Spott bedacht. Je länger sich das alles hinzog, desto nervöser wurde ich. Der Mann im Sessel schwieg beharrlich, beobachtete mich jedoch über die Kirchturmspitze hinweg, die er mit seinen Fingern formte, die Daumen unters Kinn [129] geklemmt. Ich versuchte, nicht zu ihm hinzusehen. Tapp lenkte die Unterhaltung nun auf das politische Tagesgeschehen. Unausweichlich kamen wir auf den Premierminister und die Bergarbeiter zu sprechen. Ich sagte, freie Gewerkschaften seien wichtige Institutionen. Aber ihre Aufgabe sei es, für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Sie dürften sich nicht für politische Zwecke einspannen lassen, sie hätten keinerlei Recht, demokratisch gewählte Regierungen zu stürzen. Das war die richtige Antwort. Man forderte mich auf, etwas zum kürzlichen Beitritt Großbritanniens zum Europäischen Binnenmarkt zu sagen. Ich sei dafür, erklärte ich, das sei gut für die Wirtschaft, es werde unsere Isolation abmildern, unsere Esskultur verbessern. Eigentlich hatte ich keine klare Meinung dazu, hielt es aber für ratsam, mich entschieden zu äußern. Diesmal hatte ich die anderen offensichtlich nicht auf meiner Seite. Dann kamen wir zum Tunnel unter dem Ärmelkanal. Ein Gesetzesentwurf war vorgelegt worden, und Heath und Pompidou hatten kürzlich einen Vorvertrag unterzeichnet. Ich war sehr dafür – man stelle sich vor, eine direkte Zugverbindung zwischen London und Paris! Ich staunte selbst über meinen Enthusiasmus. Wieder war ich allein damit. Der Mann im Sessel zog eine Grimasse und schaute weg. Vermutlich war er in seiner Jugend bereit gewesen, das Königreich unter Einsatz seines Lebens gegen die politischen Leidenschaften auf dem Kontinent zu verteidigen. Ein Tunnel stellte für ihn eine Sicherheitsbedrohung dar.
    So ging es weiter. Ich wurde befragt, hatte aber keine Ahnung, zu welchem Zweck. Automatisch versuchte ich, es ihnen recht zu machen, umso mehr, wenn ich spürte, dass [130] es mir nicht gelang. Ich nahm an, das ganze Schauspiel sei für den Silberhaarigen bestimmt. Bis auf diesen einen missfälligen Blick zeigte er keine Regung. Seine Hände verharrten weiterhin in

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