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Honig

Honig

Titel: Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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Gebetshaltung, die Spitzen der Zeigefinger jetzt dicht an der Nase. Es kostete mich Überwindung, ihn nicht anzusehen. Dass mir so viel an seiner Zustimmung lag, ärgerte mich selbst. Was immer er für mich im Sinn hatte, ich wollte es auch. Ich wollte, dass er mich wollte. Ich konnte ihn nicht offen mustern, aber jedes Mal, wenn ich mich umwandte, um einem der anderen Männer im Raum in die Augen zu sehen, erhaschte ich einen kurzen Blick auf ihn, der mir wieder nichts verriet.
    Die Unterhaltung versiegte. Tapp wies auf ein lackiertes Kästchen auf dem Schreibtisch, Zigaretten wurden herumgereicht. Ich rechnete damit, wie beim letzten Mal aus dem Zimmer geschickt zu werden. Aber der silberhaarige Gentleman musste irgendein stummes Signal ausgesandt haben, denn Tapp räusperte sich und ergriff das Wort. »Also dann, Serena. Wie wir von Max erfahren haben, kennen Sie sich nicht nur mit Mathematik aus, sondern auch mit moderner Literatur – Romane und dergleichen. Mit der – wie sagt man?«
    »Zeitgenössischen Belletristik«, ergänzte Max.
    »Genau, ausgesprochen belesen und immer auf dem Laufenden.«
    Ich warf zögernd ein: »Ich lese gern in meiner Freizeit, Sir.«
    »Das ›Sir‹ ist nicht nötig. Sie haben also Ahnung von diesem zeitgenössischen Zeug, das jetzt so auf den Markt kommt.«
    [131] »Ich lese hauptsächlich Romane, gebrauchte Taschenbuchausgaben, ein paar Jahre nachdem sie als Hardcover erschienen sind. Die Hardcovers kann ich mir nicht leisten.«
    Diese haarspalterische Unterscheidung schien Tapp zu irritieren. Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und schloss die Augen, um die Verwirrung kurz abebben zu lassen. Er öffnete sie erst wieder, als er schon mitten im nächsten Satz war. »Wenn ich Ihnen also Namen nenne wie Kingsley Amis oder David Storey oder…«, er blickte auf ein Blatt Papier vor ihm, »William Golding, wissen Sie genau, wovon ich rede.«
    »Ich habe Bücher von diesen Schriftstellern gelesen.«
    »Und Sie können etwas über sie sagen.«
    »Ich denke schon.«
    »Wie würden Sie sie einstufen?«
    »Einstufen?«
    »Ja doch, Bester, Zweitbester und so weiter.«
    »Das sind sehr verschiedene Autoren… Amis schreibt satirische Romane, er ist ein brillanter Beobachter mit einem ziemlich erbarmungslosen Sinn für Humor. Storey ist ein Chronist des Lebens der kleinen Leute, auf seine Weise ganz wunderbar, und, äh, Golding ist schwerer zu charakterisieren, wahrscheinlich ist er ein Genie…«
    »Also?«
    »Wenn es ums reine Lesevergnügen geht, würde ich Amis an die Spitze setzen, dann Golding, denn er hat auf jeden Fall Tiefe, und Storey auf Platz drei.«
    Tapp warf einen Blick auf seine Notizen und sah mit einem knappen Lächeln zu mir auf. »Genau so steht es hier.«
    Meine Treffsicherheit entlockte der Runde beifälliges [132] Gemurmel. So imponierend fand ich das selber gar nicht. Es gab schließlich für eine solche Liste nur genau sechs Kombinationen.
    »Und kennen Sie einen dieser Autoren persönlich?«
    »Nein.«
    »Kennen Sie überhaupt irgendwelche Schriftsteller oder Verleger oder andere Leute aus dieser Branche?«
    »Nein.«
    »Sind Sie jemals einem Schriftsteller begegnet oder mit einem Schriftsteller in einem Raum gewesen?«
    »Nein, nie.«
    »Oder haben einem vielleicht mal einen Fan-Brief geschrieben?«
    »Nein.«
    »Irgendwelche Freunde in Cambridge, die Schriftsteller werden wollen?«
    Ich dachte gründlich nach. Unter den Anglistinnen in Newnham hatten etliche Ambitionen in die Richtung gehabt, aber soweit ich wusste, hatten sie sich am Ende für einen ordentlichen Job entschieden oder für eine Heirat oder eine Schwangerschaft oder die Flucht ins Ausland oder den haschischbenebelten Rückzug in die letzten Ausläufer der Gegenkultur – oder irgendeine Kombination daraus.
    »Nein.«
    Tapp sah erwartungsvoll auf. »Peter?«
    Endlich ließ der Mann im Sessel die Hände sinken und sprach: »Ich bin übrigens Peter Nutting. Miss Frome, kennen Sie die Zeitschrift Encounter ?«
    Nun kam erstmals Nuttings Nase in Sicht, ein ziemlicher [133] Zinken. Seine Stimme war, überraschenderweise, ein heller Tenor. Ich glaubte, mal von einem Nudisten-Kontaktanzeigenblättchen mit diesem Titel gehört zu haben, war mir aber nicht sicher. Ehe ich etwas sagen konnte, fuhr Nutting fort: »Ob Sie die kennen oder nicht, spielt keine Rolle. Encounter erscheint monatlich, intellektuelles Zeug, Politik, Literatur, Kultur allgemein. Ziemlich gut, hochangesehen – früher jedenfalls –,

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