Honig
mit einem breiten Meinungsspektrum. Sagen wir von Mitte links bis Mitte rechts, hauptsächlich Letzteres. Aber jetzt kommt’s. Im Gegensatz zu den meisten Intellektuellenblättern hat man bei Encounter zum Kommunismus, insbesondere zum Sowjetkommunismus, stets eine skeptische bis ausgesprochen ablehnende Haltung bewahrt. Und sich für wenig zeitgemäße Werte eingesetzt – freie Meinungsäußerung, Demokratie und so weiter. Genau genommen ist das noch immer der Fall. Mit Kritik an der amerikanischen Außenpolitik hält man sich zurück. Klingelt es immer noch nicht? Nein? Vor fünf oder sechs Jahren kam es raus, es stand erst in einem obskuren amerikanischen Magazin und dann, glaube ich, in der New York Times: Encounter war von der CIA finanziert. Es gab einen Skandal, viel Gefuchtel und Geschrei, etliche Autoren ergriffen mitsamt ihrem Gewissen die Flucht. Der Name Melvin Lasky sagt Ihnen nichts? Muss auch nicht. Seit den späten Vierzigern sponsert die CIA ihre eigenen Vorstellungen von Hochkultur. Meist indirekt, über diverse Stiftungen. Die Idee dabei ist, europäische Linksintellektuelle von der marxistischen Perspektive wegzulocken und ein öffentliches Engagement für die freie Welt intellektuell salonfähig zu machen. Unsere Freunde haben da [134] massenhaft Geld reingesteckt, über alle möglichen Kanäle. Schon mal vom Kongress für Kulturelle Freiheit gehört? Egal.
Das also war die amerikanische Methode, und seit der Encounter -Affäre kann man das vergessen. Wenn heute irgendwo ein Mr. X von einer stinkreichen Stiftung auftaucht und sechsstellige Beträge anbietet, rennt alles schreiend davon. Dennoch befinden wir uns auch in einem Kulturkrieg, es geht nicht nur um Politik und Militär, und der Einsatz lohnt sich. Die Sowjets wissen das, die finanzieren Austauschprogramme, Besuche, Tagungen, das Bolschoi-Ballett. Ganz abgesehen von dem Geld, das sie in die Streikkasse unserer Bergarbeitergewerkschaft pumpen…«
»Peter«, murmelte Tapp, »nicht schon wieder…«
»Na schön. Danke. Jetzt, wo der Staub sich legt, haben wir beschlossen, selbst so etwas auf die Beine zu stellen. Bescheidener Etat, keine internationalen Festivals, keine Erste-Klasse-Flüge, keine Orchestertourneen mit zwanzig Schwertransportern, keine kostspieligen Partys. Das können und wollen wir uns nicht leisten. Was uns vorschwebt, ist zielgerichtet, langfristig und billig. Und deshalb sind Sie hier. Irgendwelche Fragen bis jetzt?«
»Nein.«
»Vielleicht haben Sie schon mal vom Information Research Department gehört, der Informationsbeschaffungsabteilung drüben beim Außenministerium?«
Hatte ich nicht, nickte aber trotzdem.
»Dann wissen Sie ja, dass es da eine lange Vorgeschichte gibt. Das IRD hat jahrelang mit uns und dem MI 6 zusammengearbeitet und Schriftsteller, Zeitungen und Verlage gefördert. George Orwell hat auf seinem Sterbebett [135] dem IRD eine Liste mit achtunddreißig Sympathisanten der Kommunisten übergeben. Das IRD hat dafür gesorgt, dass Farm der Tiere in achtzehn Sprachen übersetzt wurde, und hat auch für 1984 einiges getan. Im Lauf der Jahre kamen ein paar großartige Verlage hinzu. Schon mal von Background Books gehört? – Den Laden hat auch das IRD betrieben, finanziert aus dem Sonderbudget. Erstklassige Sachen. Bertrand Russell, Guy Wint, Vic Feather. Aber heutzutage…«
Er sah seufzend in die Runde. Ich spürte einen kollektiven Gram.
»Das IRD hat sich verfranzt. Zu viele dumme Ideen, zu nah am MI 6 – schließlich ist der Chef einer von denen. Ich verrate Ihnen was: In Carlton House Terrace wimmelt es von netten fleißigen Mädchen wie Ihnen, und wenn Besuch vom MI 6 kommt, muss irgendein Idiot durch die Büros vorausrennen und rufen: ›Alle das Gesicht zur Wand!‹ Ist das zu fassen? Möchte wetten, dass die Mädchen auch mal durch die Finger spähen, was?«
Er blickte sich erwartungsvoll um. Man kicherte gehorsam.
»Also wollen wir noch mal von vorn anfangen. Wir wollen uns auf geeignete junge Autoren konzentrieren – vor allem Akademiker und Journalisten –, die am Anfang ihrer Karriere stehen und finanzielle Unterstützung brauchen. Typischerweise Leute, die ein Buch schreiben wollen und denen ein anstrengender Brotjob keine Zeit dazu lässt. Und wir dachten, es wäre doch ganz interessant, auch einen Romanschriftsteller auf der Liste zu haben…«
Harry Tapp warf ungewöhnlich aufgeregt ein: »Um die [136] Sache etwas weniger kopflastig zu machen, ein bisschen
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