Honig
veröffentlichen, wenn er einen Roman abliefert. Erzählungen verkaufen sich nicht. Solche Erzählbände bringen die Verlage normalerweise als Gefallen an ihre etablierten Autoren heraus. Er muss also was Längeres schreiben. Das ist wichtig zu wissen, weil man für einen [142] Roman viel Zeit braucht und das schwierig ist, wenn man einen Vollzeitjob hat. Und er will unbedingt einen Roman schreiben. Angeblich hat er schon eine Idee dafür. Noch etwas, er ist gerade auf der Suche nach einem Agenten.«
»Einem Agenten ?«
»Nicht was Sie denken, Harry. Bringt das Buch bei einem Verlag unter, kümmert sich um die Verträge, kriegt Provision dafür.«
Benjamin übergab mir die Mappe. »Das wär’s so in etwa. Und das sollten Sie natürlich nicht irgendwo rumliegen lassen.«
Der Mann, der bis jetzt geschwiegen hatte, ein hagerer, grauer Herr mit öligem Mittelscheitel, schaltete sich ein: »Können wir denn zumindest ein wenig Einfluss darauf nehmen, was diese Leute schreiben?«
Nutting sagte: »Das funktioniert nicht. Wir müssen unserer Auswahl vertrauen und können nur hoffen, dass Haley und die anderen sich gut entwickeln und, nun ja, wichtig werden. Das kann dauern. Wir wollen den Amerikanern zeigen, wie man so etwas macht. Aber es spricht nichts dagegen, dem einen oder anderen unterwegs unter die Arme zu greifen. Es gibt ja Leute, die uns einen Gefallen oder auch zwei oder drei schuldig sind. In Haleys Fall, nun, früher oder später wird einer von uns den Vorsitz in diesem neuen Booker-Prize-Komitee übernehmen. Und diese Sache mit den Agenten sollten wir uns vielleicht einmal grundsätzlich überlegen. Aber was die Texte selbst angeht, müssen die Autoren sich frei fühlen.«
Er erhob sich und blickte erst auf seine Uhr, dann zu mir. »Für weitere Fragen zum Hintergrund wenden Sie sich an [143] Benjamin. Für Operatives ist Max zuständig. Der Codename ist: Honig. Also dann. Das war’s.«
Ich ging ein Risiko ein, aber inzwischen kam ich mir unentbehrlich vor. Vermutlich war es reiner Größenwahn. Doch wer in diesem Raum, außer mir, hatte im Erwachsenenalter je eine Kurzgeschichte gelesen? Ich konnte mich nicht bremsen. Ich war gespannt und gierig. »Das ist mir ein wenig unangenehm«, sagte ich, »und ich möchte Max nicht zu nahe treten, aber wenn ich direkt mit ihm arbeite, wäre es vielleicht hilfreich, wenn mir mein eigener Status ein wenig klarer ist.«
Peter Nutting nahm wieder Platz. »Meine Liebe. Wie meinen Sie das?«
Ich trat demütig vor ihn hin, wie früher vor meinen Vater in seinem Arbeitszimmer. »Das ist eine große Herausforderung, und es freut mich sehr, dass Sie an mich gedacht haben. Der Fall Haley ist faszinierend, und er ist heikel. Sie fordern mich praktisch auf, Haley zu führen. Ich fühle mich geehrt. Aber Agentenführung… na ja, ich wüsste doch gern etwas genauer, wo ich stehe.«
Es folgte ein betretenes Schweigen, wie es nur eine Frau in einem Raum voller Männer auslösen kann. Dann brummte Nutting: »Na ja, sicher…«
Er wandte sich verzweifelt an Tapp. »Harry?«
Tapp schob sein goldenes Zigarettenetui in die Innentasche seines Jacketts und stand auf. »Ganz einfach, Peter. Sie und ich reden nach dem Mittagessen mit der Personalverwaltung. Ich wüsste nicht, was dagegen spricht. Serena kann zur stellvertretenden Führungsbeamtin befördert werden. Wird ja auch Zeit.«
[144] »Da haben Sie’s, Miss Frome.«
»Ich danke Ihnen.«
Nun standen alle. Max sah mich, wie mir schien, mit neuer Hochachtung an. In meinen Ohren klang ein Singen, wie von einem vielstimmigen Chor. Ich mochte zu den Letzten meines Jahrgangs gehören, die befördert wurden, doch nach nur neun Monaten beim Geheimdienst war ich jetzt so weit gekommen, wie eine Frau überhaupt nur kommen konnte. Tony wäre sehr stolz auf mich gewesen. Er hätte mich zur Feier des Tages in seinen Club eingeladen. War Nutting nicht im selben Club? Während wir einer hinter dem anderen Tapps Büro verließen, nahm ich mir vor, wenigstens meine Mutter anzurufen und ihr zu erzählen, wie gut ich mich beim Gesundheits- und Sozialministerium schlug.
[145] 8
Ich ließ mich in meinen Sessel sinken, bog die neue Leselampe zurecht und nahm meinen Lesezeichenfetisch zur Hand. Ich hatte schon einen Bleistift gezückt, als würde ich mich auf ein Seminar vorbereiten. Mein Traum war Wirklichkeit geworden – ich studierte Englisch, nicht Mathe. Ich war von den Ansprüchen meiner Mutter befreit. Die Mappe lag auf meinem
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