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Honig

Honig

Titel: Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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musste sie auch zerstören. Hermione wohnte noch keine Woche bei ihm, als er einen Wechsel in ihrer Stimmung bemerkte, eine kaum merkliche Modifikation ihres Schweigens, eine beharrliche und fast unhörbare neue Note darin, die von Unzufriedenheit kündete. Von diesem Tinnitus des Zweifels angetrieben, gab er [179] sich noch mehr Mühe, sie zufriedenzustellen. Als sie an diesem Abend im Schlafzimmer waren, kam ihm ein Verdacht, der sich zu einem Schauer des Entsetzens ausweitete – und es war wirklich ein Schauer. Sie dachte an einen anderen . Sie hatte denselben Blick wie damals im Schaufenster, als sie abseits von den anderen Gästen in eine Ecke starrte. Sie wollte woanders sein. Als er mit ihr schlief, verband sich der Schmerz dieser Erkenntnis untrennbar mit der Lust, die ihm, scharf wie das Skalpell eines Chirurgen, ins Herz schnitt. Aber es ist ja schließlich nur ein Verdacht, sagte er sich, als er sich in seine Betthälfte zurückzog. Sein Schlaf war tief in dieser Nacht.
    Als Abeje ihm am nächsten Morgen das Frühstück servierte (Hermione blieb immer bis Mittag im Bett), bemerkte er an ihr eine ganz ähnliche Veränderung, was seine Zweifel wieder aufleben ließ. Die Haushälterin gab sich barsch und zugeknöpft. Sie wich seinem Blick aus. Der Kaffee war lauwarm und dünn, und als er sich darüber beklagte, fand er ihren Ton unwirsch. Sie brachte eine neue Kanne, heiß und stark, wie sie sagte – da hatte er eine Eingebung. Es war ganz einfach. Die Wahrheit war immer einfach. Die beiden liebten sich, Hermione und Abeje. Heimlich und hastig. Immer wenn er das Haus verließ. Wen sonst hatte Hermione seit ihrer Ankunft gesehen? Daher dieser fahrige, sehnsuchtsvolle Blick. Daher Abejes Schroffheit heute Morgen. Daher alles andere. Er war ein Idiot, ein ahnungsloser Idiot.
    Die Trennung wurde rasch vollzogen. An diesem Abend war das Skalpell schärfer, es schnitt tiefer und drehte sich noch in der Wunde um. Und er wusste, dass Hermione es [180] wusste. Das erkannte er an ihrem sprachlosen Entsetzen. Ihr Verbrechen berechtigte ihn zu rücksichtslosem Vorgehen. Mit der ganzen Grausamkeit einer enttäuschten Liebe fiel er über sie her, und als er kam, als sie beide kamen, schlossen sich seine Finger fest um ihre Kehle. Und als er fertig war, hatten ihre Arme und Beine und ihr Kopf keine Verbindung mehr zu ihrem Rumpf, den er an der Schlafzimmerwand zertrümmerte. Sie lag in alle Ecken verstreut, eine zerstörte Frau. Diesmal kam kein tröstender Schlaf. Am Morgen stopfte er Hermiones Körperteile in einen Plastiksack und trug ihn, mitsamt ihren Habseligkeiten, zur Mülltonne. Benommen schrieb er Abeje eine kurze Notiz (er war nicht in der Stimmung für eine weitere Konfrontation), in der er ihr ihre »fristlose« Kündigung mitteilte, und legte ihr den Lohn für den Rest des Monats auf den Küchentisch. Dann machte er einen langen, reinigenden Spaziergang in Hampstead Heath. Am Abend öffnete Abeje die Plastiktüten, die sie aus dem Müll geholt hatte, und führte ihrem Mann die Sachen vor – die Seidenkleider, den Schmuck und die Schuhe. Stockend erzählte sie ihm auf Kanuri, seiner Muttersprache (sie hatten über Stammesgrenzen hinweg geheiratet): Sie hat ihn verlassen, und er ist daran zerbrochen.
    Danach zog Carder sich noch mehr zurück, kam allein »zurecht« und alterte mit einem Mindestmaß an Würde. Die ganze Erfahrung hatte ihn nichts gelehrt. Es gab keine Moral von der Geschichte, keine Lektion, denn obwohl er, ein gewöhnlicher Mensch, die ungeheure Macht der Phantasie für sich entdeckt hatte, wollte er über das Geschehene nicht nachdenken. Er beschloss, die Geschichte vollständig [181] aus seinen Gedanken zu verbannen, und so gründlich verschließt der menschliche Geist seine verschiedenen Schubladen und Fächer, dass es ihm gelang. Er vergaß sie ganz und gar. Und lebte nie wieder so intensiv.

[182] 10
    Max hatte mir erzählt, sein neues Büro sei kleiner als eine Besenkammer, tatsächlich aber war es ein wenig größer. Zwischen Schreibtisch und Tür hätten über ein Dutzend Besen senkrecht verstaut werden können, zwischen Stuhl und Wänden noch ein paar mehr. Für ein Fenster blieb jedoch kein Platz. Der Raum bildete ein spitzes Dreieck, in dessen Scheitelpunkt Max eingezwängt war, während ich mit dem Rücken zur Basis saß. Ganz ungestört konnte man nicht sprechen, denn die Tür ließ sich nicht richtig schließen. Sie ging nach innen auf, und hätte jemand hereinkommen wollen,

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