Honig
Graffiti und Müll auf den Straßen und hegen allerlei unappetitliche Vorurteile über Einwanderer und Gewerkschaften, Steuern, Krieg und Todesstrafe. Aus Gründen der Selbstachtung war es daher geboten, sich nicht allzu viel daraus zu machen, wenn man ausgeraubt wurde.
Also gibt er seine Börse her, und der Dieb läuft davon. Statt nun direkt nach Hause zu gehen, macht Sebastian kehrt, sucht die Polizeiwache in der High Street auf und [218] erstattet Anzeige. Während er mit dem Diensthabenden spricht, kommt er sich wie ein Schuft vor, ein Denunziant, denn natürlich ist die Polizei eine Handlangerin des Systems, das Menschen zu Dieben macht. Sein Unbehagen wächst angesichts der besorgten Miene des Polizisten, der immer wieder nach dem Messer und der Länge der Klinge fragt, und ob Sebastian vielleicht auch den Griff beschreiben könne. Selbstverständlich ist bewaffneter Raub ein schweres Delikt. Dieser Junge könnte für Jahre ins Gefängnis wandern. Selbst als der Polizist ihm erzählt, erst einen Monat zuvor sei eine alte Dame, die ihre Handtasche nicht loslassen wollte, erstochen worden, will Sebastians Unbehagen nicht weichen. Er hätte das Messer nicht erwähnen sollen. Auf dem Rückweg bereut er seinen Reflex, den Vorfall sofort anzuzeigen. Langsam wird er alt und bürgerlich. Er ist nicht mehr der Mann, der sein Leben riskiert, der senkrechte Granitwände hinaufklettert und sich dabei auf seine Gewandtheit, seine Kraft und Erfahrung verlässt.
Da er sich schwach fühlt und seine Knie zittern, geht er in einen Pub und kann sich von dem Kleingeld in seiner Hosentasche gerade noch einen großen Scotch leisten. Er kippt ihn runter und geht nach Hause.
Der Überfall ist der Anfang vom Ende seiner Ehe. Auch wenn Monica das nie ausspricht, ist klar, dass sie ihm nicht glaubt. Es ist die alte Geschichte. Er kommt mit einer Schnapsfahne nach Hause und beteuert, ein Räuber sei mit dem Weihnachtsgeld auf und davon. Das Fest ist ruiniert. Sie müssen sich Geld von Monicas hochnäsigem Bruder leihen. Ihr Misstrauen kränkt Sebastian, sie gehen auf Distanz zueinander, am Weihnachtstag spielen sie den Kindern [219] zuliebe die fröhlichen Eltern, was die Spannung zwischen ihnen zusätzlich auflädt, bis sie kaum noch miteinander reden. Der Gedanke, dass sie ihn für einen Lügner hielt, fraß wie Gift an seinem Herzen. Er arbeitet hart, er ist treu und zuverlässig und hat keine Geheimnisse vor ihr. Wie kann sie es wagen, ihm zu misstrauen! Eines Abends, Naomi und Jake sind schon im Bett, verlangt er von Monica, ihm zu sagen, dass sie ihm glaubt. Aufgebracht weigert sie sich, auch nur ein Wort dazu zu sagen. Stattdessen wechselt sie das Thema, ein rhetorischer Trick, denkt er verbittert, den sie besonders gut beherrscht und den er selbst einmal lernen sollte. Sie habe ihr Leben satt, sagt sie, sie habe es satt, finanziell von ihm abhängig zu sein, den ganzen Tag zu Hause eingesperrt zu sein, während er draußen seine Karriere voranbringe. Warum haben sie nie die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass er sich um Hausarbeit und Kinder kümmert und sie wieder in ihren Beruf einsteigt?
Noch während ihrer Tirade denkt er bei sich: Was für eine verlockende Aussicht. Er müsste sich nicht mehr mit diesen Rabauken abgeben, die niemals den Mund halten oder im Unterricht ruhig auf den Stühlen sitzen. Er müsste nicht mehr so tun, als interessierte es ihn, ob sie jemals ein Wort Französisch lernten. Außerdem ist er gern mit seinen Kindern zusammen. Er würde sie zur Schule und in den Kindergarten bringen, und dann hätte er ein paar Stunden für sich – vielleicht würde er sich einen alten Wunsch erfüllen und ein wenig schreiben –, bevor er Jake abholte und für ihn Mittagessen kochte. Nachmittags auf den Kleinen aufpassen und ein bisschen Hausarbeit. Paradiesisch. Soll Monica doch die Lohnsklavin sein. Aber sie sind gerade mitten [220] in einem Streit, und er ist nicht in der Stimmung, einen Vorschlag zur Güte zu machen. Gereizt kommt er wieder auf den Überfall zu sprechen. Wieder fordert er Monica heraus, ihn einen Lügner zu nennen, sagt, sie solle zur Polizei gehen und seine Aussage lesen. Worauf sie aus dem Zimmer stürmt und die Tür hinter sich zuknallt.
Ein mürrischer Frieden herrscht, die Ferien enden, und Sebastian geht wieder zur Arbeit. In der Schule ist es so schlimm wie eh und je. Ein wenig großmäulige Rebellion, das ist alles, was die Schüler vom Zeitgeist übernehmen. Hasch, Schnaps und Tabak
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