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Honig

Honig

Titel: Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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Einzelteile waren es, zu viele andere Prioritäten gibt es jetzt. Man hat ihm seine Jugend gestohlen. Er war mit seiner redlichen, gutmütigen Toleranz am Ende, er hatte Lust, den Dieb mit bloßen Händen zu erwürgen. Dann schüttelt er den Kopf, um das Bild loszuwerden. Monica erzählt, die Polizei sei schon da gewesen. An der zerbrochenen Fensterscheibe sei Blut. Aber anscheinend habe der Dieb Handschuhe getragen, es gebe keine Fingerabdrücke. Er sagt, das müssten mindestens zwei Einbrecher gewesen sein, einer allein hätte seine ganze Ausrüstung nicht aus dem Schrank räumen und aus dem Haus tragen können. Ja, stimmte sie teilnahmslos zu, es müssen wohl zwei gewesen sein.
    Abends, zu Hause, kann er nicht widerstehen, er öffnet den Schrank unter der Treppe und starrt selbstquälerisch auf die leeren Regale. Er stellte die verstreuten Eimer und Schrubber und Bürsten wieder an ihren Platz, dann ging er nach oben und warf einen Blick in die Sockenschublade, in der er seine Kamera aufbewahrt hatte. Die Diebe haben gewusst, was sie wollten, auch wenn der Föhn weniger schlimm ist, da sie noch einen zweiten haben. Dieser neue Schicksalsschlag, dieser Angriff auf ihre Häuslichkeit, bringt Sebastian und Monica einander jedoch nicht wieder näher. Nach kurzer Diskussion beschließen sie, den Kindern nichts von dem Einbruch zu erzählen, dann geht Monica zu ihrem Kurs. An den folgenden Tagen fühlt Sebastian sich so niedergeschlagen, dass er sich kaum dazu aufraffen kann, die Unterlagen für die Versicherung auszufüllen. Die Hochglanzbroschüre prahlt mit »umfassendem Schutz«, aber das Kleingedruckte auf dem Formular spricht von nichts anderem als Geiz. Der Wert der Kamera ist nur [224] zu einem Bruchteil gedeckt, die Kletterausrüstung so gut wie gar nicht, weil er die Sachen nicht einzeln spezifiziert hat.
    Ihre triste Koexistenz setzte sich fort . Einen Monat nach dem Einbruch sucht die Schulsekretärin Sebastian während einer Pause auf und teilt ihm mit, im Sekretariat warte ein Mann auf ihn. Wie sich herausstellt, steht er, einen Regenmantel überm Arm, schon im Korridor. Er stellt sich als Polizeiinspektor Barnes vor und erklärt, er habe etwas mit ihm zu besprechen. Ob Mr. Morel nach der Arbeit auf die Wache kommen könne?
    Ein paar Stunden später steht Sebastian am gleichen Schalter, wo er vor Weihnachten den Überfall angezeigt hat. Es vergeht eine halbe Stunde, bis Barnes Zeit für ihn hat. Der Inspektor entschuldigt sich dafür, dass er ihn so lange hat warten lassen, und führt ihn über drei Betontreppen hinauf in einen kleinen abgedunkelten Raum. An einer Wand hing eine Leinwand, auf einer Art Barhocker in der Mitte des Raums stand, ein wenig wacklig, ein Filmprojektor. Barnes bot Sebastian einen Stuhl an und begann seinen Bericht von einem erfolgreichen Coup . Vor einem Jahr habe die Polizei einen heruntergekommenen Gebrauchtwarenladen in einer Nebenstraße gemietet und mit zwei Zivilbeamten besetzt. Es sei darum gegangen, Diebe zu filmen, die gestohlene Sachen zum Verkauf anboten. Da inzwischen mehrere Verfahren eingeleitet worden seien, habe die Tarnung nicht mehr aufrechterhalten werden können, der Laden musste geschlossen werden. Aber ein paar Fragen seien noch ungeklärt. Barnes macht das Licht aus.
    Eine versteckte Kamera ist so hinter dem »Verkäufer« [225] installiert, dass sie die Eingangstür und den Ladentisch im Visier hat. Sebastian vermutet, er werde gleich den jungen Burschen zu sehen bekommen, der ihn überfallen hat. Wenn er ihn identifizieren kann, kommt er wegen bewaffneten Raubüberfalls in den Knast – von ihm aus. Aber Sebastian liegt völlig daneben. Die Person, die mit einer Reisetasche den Laden betritt und ein Radio, eine Kamera und einen Föhn auf die Theke legt, ist seine Frau. Sie trägt den Mantel, den er ihr vor einigen Jahren zum Geburtstag geschenkt hat. Einmal blickt sie zufällig in Richtung Kamera, als habe sie Sebastian bemerkt und fordere ihn auf: Sieh genau hin! Tonlos wechselt sie ein paar Worte mit dem Verkäufer, daraufhin gehen beide nach draußen und kommen mit drei schweren Leinentaschen wieder herein. Sie muss direkt vor dem Laden geparkt haben. Der Verkäufer guckt in jede der drei Taschen rein, kehrt hinter den Ladentisch zurück und sieht sich die anderen Sachen an. Dann wird offenbar über den Preis verhandelt. Monicas Gesicht wurde von einer Neonröhre beleuchtet. Sie wirkte beschwingt, auf eine nervöse Art geradezu euphorisch. Sie lächelte

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