Honig
viel, und einmal lachte sie sogar über einen Scherz des Zivilbeamten. Man einigt sich auf einen Preis, Banknoten werden abgezählt, und Monica wendet sich zum Gehen. An der Tür drehte sie sich noch einmal um und sagte etwas zum Abschied, etwas Längeres als nur ›auf Wiedersehen‹, dann war sie weg, und die Leinwand wurde schwarz.
Der Inspektor schaltet den Projektor aus und macht das Licht an. Er druckst ein wenig herum. Man hätte ohne weiteres ein Verfahren einleiten können, sagt er. Irreführung der Polizei, Missbrauch der Justiz, etwas in der Art. Aber [226] da es sich hier eindeutig um eine heikle häusliche Angelegenheit handle, solle Sebastian selbst entscheiden, was zu tun sei. Die zwei Männer gehen nach unten und auf die Straße hinaus. Der Inspektor gibt Sebastian die Hand und sagt, es tue ihm schrecklich leid, er verstehe, dies sei eine schwierige Situation, und er wünsche ihm alles Gute. Bevor er in die Wache zurückgeht, fügt er hinzu, die Polizisten, die in dem Laden gearbeitet und das Gespräch mit dem Verkäufer aufgezeichnet hätten, seien der Meinung, dass »Mrs. Morel wahrscheinlich Hilfe brauche«.
Auf dem Heimweg – ist er jemals langsamer gegangen? – hätte er am liebsten wieder einen Zwischenhalt im Pub eingelegt, um sich Mut anzutrinken, aber sein Geld reicht nicht einmal für ein kleines Bier. Auch gut. Was er jetzt nötig hat, ist ein klarer Kopf und frischer Atem. Für die knappe Meile bis nach Hause braucht er eine Stunde.
Als er heimkommt, ist sie mit den Kindern in der Küche. Er blieb in der Küchentür stehen und sah seiner kleinen Familie beim Kuchenbacken zu. Was für ein trauriger Anblick, wie Jake und Naomi eifrig den gemurmelten Anweisungen ihrer Mutter lauschten und die Köpfchen reckten. Er geht nach oben, legt sich auf das Bett im Gästezimmer und starrt an die Decke. Er fühlt sich schwer und müde und fragt sich, ob er unter Schock steht. Aber trotz der furchtbaren Wahrheit, die er soeben erfahren hat, beunruhigt ihn jetzt etwas Neues und gleichermaßen Schockierendes. Schockierend? Ist das der richtige Ausdruck?
Vorhin, als er Monica und die Kinder beobachtete, hat sie einmal kurz über die Schulter in seine Richtung gesehen. Ihre Blicke trafen sich. Er kennt sie gut genug, er hat [227] diesen Blick schon oft gesehen, jedes Mal mit Freuden. So verheißungsvoll. Eine stumme Aufforderung, später, wenn die Kinder schlafen, die Gelegenheit zu nutzen und alle Gedanken an häusliche Pflichten beiseitezuschieben. Unter den neuen Umständen, angesichts der Enthüllung eben, hätte er das abstoßend finden müssen. Tatsächlich aber hat es ihn erregt. Denn dieser Blick kam von einer Fremden, von einer Frau, über die er, abgesehen von ihrem offensichtlichen Hang zur Zerstörung, absolut nichts weiß. Er hatte sie in einem Stummfilm gesehen und erkannte jetzt, dass er sie nie verstanden hatte. Er hatte sie völlig missverstanden. Da war keinerlei Vertrautheit mehr. In der Küche hatte er sie mit neuen Augen gesehen, hatte auf einmal, wie zum ersten Mal, erkannt, wie schön sie war. Schön und wahnsinnig. Eine Frau, die ihm gerade erst, vielleicht auf einer Party, in einem Raum voller Menschen aufgefallen war, die Art von Frau, die mit einem einzigen Blick eine gefährliche und aufregende Einladung ausspricht.
Er ist immer ein unerschütterlich treuer Ehemann gewesen. Jetzt erscheint seine Treue nur wie ein weiterer Aspekt der allgemeinen Beengtheit und Misere seines Lebens. Seine Ehe ist am Ende, es gibt keinen Weg zurück, denn wie kann er jetzt mit Monica leben? Wie kann er einer Frau vertrauen, die ihn bestohlen und belogen hat? Es ist aus. Aber hier bietet sich die Chance für eine Affäre. Eine Affäre mit dem Wahnsinn. Wenn sie Hilfe braucht, dann hat er etwas für sie.
An diesem Abend spielt er mit den Kindern, mistet mit ihnen den Hamsterkäfig aus, steckt sie in ihre Schlafanzüge und muss ihnen dreimal vorlesen, einmal beiden [228] zusammen, dann Jake allein, dann Naomi. In Augenblicken wie diesen hat sein Leben einen Sinn. Wie wohltuend der Duft von sauberem Bettzeug und frischem Zahnpasta-Atem, während seine Kinder gespannt den Abenteuern von Phantasiegestalten lauschen, und wie rührend, ihre Augenlider schwer werden zu sehen, während sie krampfhaft die kostbaren letzten Minuten des Tages festzuhalten versuchen und schließlich kapitulieren. Und die ganze Zeit hört er unten seine Frau hantieren, hört mehrmals das typische Klacken der
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