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Honig

Honig

Titel: Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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Sie brillant sagen.«
    »Gut. Brillant, brillant, brillant.« Ich griff in meine Handtasche, die auf dem Boden stand, und nahm die Broschüre der Stiftung heraus. »Hier steht alles über unsere Arbeit. Sie können uns in der Upper Regent Street besuchen und mit den Leuten dort reden. Die werden Ihnen gefallen.«
    »Sind Sie dann auch dort?«
    »Mein Auftraggeber ist ›Word Unpenned‹. Wir arbeiten eng mit ›Freedom International‹ zusammen und stellen der Stiftung Fördermittel zur Verfügung. Die wiederum hilft uns bei der Suche nach Künstlern. Ich reise viel, ansonsten arbeite ich von zu Hause aus. Aber Sie können mich jederzeit über das Büro der Stiftung erreichen.«
    Er sah auf seine Uhr und stand auf, also erhob ich mich ebenfalls. Ich war eine pflichtbewusste junge Frau, entschlossen, die in mich gesetzten Erwartungen zu erfüllen. Ich wollte Haleys Zusage jetzt, noch vor dem Mittagessen. Am Nachmittag würde ich Max anrufen und ihm von meinem Erfolg berichten, und gleich am nächsten Morgen würde ich hoffentlich einen schriftlichen Glückwunsch von Peter Nutting vorfinden, nichtssagend, unsigniert, von irgendwem getippt, mir aber wichtig.
    [212] »Sie müssen sich keineswegs jetzt gleich zu irgendetwas verpflichten«, sagte ich und hoffte, dass ich nicht allzu flehentlich klang. »Fühlen Sie sich vollkommen frei. Sobald Sie Ihre Einwilligung erteilt haben, kann ich die monatliche Zahlung veranlassen. Ich brauche nur noch Ihre Bankverbindung.«
    Einwilligung erteilen? Den Ausdruck hatte ich noch nie im Leben benutzt. Er blinzelte zustimmend, aber das galt weniger dem Geld als meinen Worten allgemein. Wir standen keine zwei Meter auseinander. Er hatte schmale Hüften, und durch eine Lücke zwischen zwei Knöpfen seines Hemdes, das ein wenig verrutscht war, sah ich über seinem Nabel ein Stück Haut und flaumiges Haar.
    »Danke«, sagte er. »Ich werde es mir gründlich überlegen. Am Freitag muss ich nach London. Da könnte ich bei Ihnen im Büro vorbeikommen.«
    »Also dann«, sagte ich und hielt ihm meine Hand hin. Er nahm sie, aber ein Handschlag war das nicht. Er umschloss meine Finger und strich innen mit dem Daumen darüber, langsam, ein Mal. Sonst nichts. Und sah mir dabei fest in die Augen. Als ich meine Hand wegzog, strich ich mit dem Daumen an seinem Zeigefinger entlang. Vielleicht wären wir noch näher aufeinander zugegangen, hätte es nicht in diesem Augenblick kräftig, geradezu lächerlich laut an die Tür geklopft. Er trat zurück und rief: »Herein!« Die Tür schwang auf, und da standen zwei Mädchen, blondes Haar, Mittelscheitel, verblassende Sonnenbräune, Sandalen und lackierte Zehennägel, nackte Arme, erwartungsvolles Lächeln, unerträglich hübsch. Die Bücher und Papiere unter ihren Armen kamen mir völlig unglaubwürdig vor.
    [213] »Ah«, sagte Tom. »Unser Faerie-Queene -Tutorium.«
    Ich schob mich an ihm vorbei zur Tür. »Das hab ich nie gelesen«, sagte ich.
    Er lachte, die beiden Mädchen lachten auch, als hätte ich einen wunderbaren Witz gemacht. Wahrscheinlich glaubten sie mir nicht.

[214] 12
    Auf der Rückfahrt nach London am frühen Nachmittag saß ich ganz allein in meinem Waggon. Während der Zug die South Downs hinter sich ließ und den Sussex Weald durchquerte, ging ich, um meine Erregung abzureagieren, im Gang auf und ab. Ich setzte mich für ein paar Minuten, dann war ich wieder auf den Beinen. Ich warf mir vor, nicht hartnäckig genug gewesen zu sein. Warum hatte ich nicht das Ende des Tutoriums abgewartet, Tom anschließend zu einem gemeinsamen Mittagessen überredet, alles noch einmal durchgesprochen und mir seine Zusage gesichert? Auch hatte ich mir noch nicht einmal seine Privatadresse geben lassen. Aber da war noch etwas anderes. Vielleicht, vielleicht war zwischen uns etwas passiert, nur eine kleine Berührung, gewiss – so gut wie nichts. Aber ich hätte bleiben sollen, ein wenig nur, und darauf aufbauen, eine Brücke zu unserer nächsten Begegnung spannen. Ein langer Kuss auf diesen Mund, der mir ständig ins Wort fallen wollte. Mich verfolgte die Erinnerung an seine Haut zwischen den Hemdknöpfen, an den blassen Haarwirbel um seinen Nabel, den zarten, schlanken, kindlichen Körper. Ich nahm eine von Toms Erzählungen hervor, um sie noch einmal zu lesen, konnte mich aber nicht lange konzentrieren. Ich überlegte, ob ich in Haywards Heath aussteigen [215] und zurückfahren sollte. Wäre ich ebenso nervös gewesen, wenn er meine Finger nicht

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