Honigmilch
mit einem Stück Brot auf.
Fanni musterte Leni, die ihr gegenübersaß und genüsslich einen stattlichen Berg Kirschauflauf verspeiste.
Leni ist einunddreißig Jahre alt, dachte Fanni, sie kann sich treffen, mit wem sie will und wo sie will.
Doch schon einen Augenblick später überlegte sie, ob Leni an diesem Vormittag mit Jonas Böckl verabredet gewesen oder ihm zufällig über den Weg gelaufen war.
Es muss Zufall gewesen sein, sagte sie sich nach einer Weile. Vielleicht ist Jonas gerade aus dem Haus gekommen, als Leni vorbeiging, und dann sind beide zusammen die Erlenweilerstraße hinaufgestiefelt. Warum denn nicht, sie kennen sich doch von Kindesbeinen an.
»Hast du nicht dem Jonas mal eine Ohrfeige verpasst, weil er den Bene Klein immer gehänselt hat?«, fragte Fanni.
Leni nickte. »Aber aus dem Alter ist er wohl heraus«, meinte sie.
Fragt sich, dachte Fanni, in welchem Alter Jonas jetzt steckt. Ist er nicht fünf Jahre jünger als Leni? Sechsundzwanzig, da regiert selten die Besonnenheit, wie ich aus eigener Erfahrung weiß.
Gegen die Böckls gab es eigentlich nichts zu sagen. Sie verhielten sich anständig und unauffällig und hatten stets versucht, ihren ungebärdigen Sohn mit vernünftiger Strenge zu erziehen. Den Ansichten Böckls konnte Fanni viel öfter beipflichten als denen ihres Mannes.
Trotzdem! Fanni begegnete Böckl stets mit leichtem Argwohn. Weil Böckl Jäger war. Weil er Waffen handhabte wie Spielzeug, und weil er Hasen, Rebhühner, Hirsche und Rehböcke tötete wie Fanni Blattläuse.
»Jonas wird das Büchsenmacher-Geschäft von seinem Vater übernehmen«, verkündete Fanni. »Die Jagdprüfung hat er schon vor Jahren abgelegt.«
»Ich weiß«, antwortete Leni. Sie schob ihren Teller zur Seite, zog sich die Auflaufform heran und begann, den am Rand festgebackenen Teig mit der Gabel abzukratzen. »Er hat mir von seiner Waffensammlung erzählt«, sagte sie dabei. »Jonas besitzt jede Menge Pistolen: Brownings, Mauser, Berettas, eine Walther mit einem Nachnamen, den ich vergessen habe, und weiß der Kuckuck was noch alles.«
»Donnerwetter«, ließ sich Hans Rot vernehmen, und es klang ziemlich beeindruckt. Stand da etwa ein Sinneswandel an?
Fanni war es schnurzegal, was ihr Mann von Jonas, dessen Beruf oder dessen Hobby hielt. Fanni ging es einzig und allein um Leni. Und Leni, die als eingefleischte Pazifistin galt, Waffen verabscheute, allenfalls Mikroben jagte und selbst diese lieber züchtete, zählte hier seelenruhig die ominösen Kostbarkeiten einer Pistolensammlung auf. Was, um Himmels willen, hatte Leni Rot auf einmal mit Jonas Böckl zu schaffen?
Hans Rot trank sein Bier aus und stand auf. »Dann werde ich mir mal Lenis Vehikel vornehmen«, sagte er und trollte sich.
Fanni stellte die Auflaufform ins Spülbecken. Leni brachte kichernd die leeren Teller in die Küche.
»Was ist denn dir Spaßiges in den Sinn gekommen?«, fragte Fanni.
»Weißt du, Mami«, lachte Leni, »Jonas mag ja ein kundiger Jäger sein, aber vor allem ist er ein begnadeter Schürzenjäger.« Und damit hüpfte sie beschwingt die Treppe hinauf in ihr Mädchenzimmer, wo die Gen-Dateien auf sie warteten.
Fanni blieb ein wenig konfus zurück.
Sie kniete gerade vor dem Backrohr und scheuerte ein paar Fettspritzer vom Sichtglas, als ihr Mann noch mal zurückkam.
»Was ich dir vorhin schon sagen wollte: Für mich musst du heute kein Abendbrot herrichten. Die Eisensteiner Schützen spendieren Wurstsalat im Birkdorfer Wirtshaus. Alle Erlenweiler Schützen sind dazu eingeladen, und zwar ausdrücklich mit Ehegatten, falls dich das interessiert.«
Die Eisensteiner Schützen, blitzte es in Fannis Kopf auf, stets bestens informiert! Hatten die nicht letzten Sonntag binnen kürzester Zeit von Annabels Tod erfahren?
Fanni sah auf. »Ich komme mit.«
Wären aus Fannis Nase plötzlich Elefantenzähne gewachsen, hätte Hans Rot nicht entgeisterter dreinschauen können.
Volltreffer, freute sich Fanni, als mit dem Wurstsalat das Thema »Tod am Falkenstein« auf den Tisch kam.
»Die Polizei hat den Severin am Wickel«, tönte es von gegenüber.
»Der Severin hätte seiner Annabel nie was angetan«, rief Fannis Tischnachbar.
»Sie hat es zu weit getrieben«, schallte es von schräg vis-à-vis.
»Was hat sie denn getrieben?« Die Stimme gehörte einem aus Erlenweiler.
»Ja, meinst du, der Severin hat das gern gesehen, dass sie sich jeden Samstag bis spät in die Nacht von den Saufbrüdern auf der Hütte
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