Honigmilch
begrapschen hat lassen?«, antwortete ein Eisensteiner Dialekt.
»Aber er hat doch genau gewusst, dass es ihr nur ums Geldverdienen gegangen ist«, wandte ein anderer ein.
»Die zwei wollten zusammen einen Laden aufmachen, nächstes Jahr, nach dem Schulabschluss. So was läuft nicht ohne Startkapital«, erklärte der Eisensteiner Schützenvorstand gewichtig.
»Eben«, sagte Fannis Gegenüber, »und der Severin ist die ganze Zeit bloß vor seinem Computer gehockt und hat Kriegsspiele gespielt. Damit ist bestimmt nichts verdient.«
Sein linker Nachbar schüttelte den Kopf. »Der Severin hat regelmäßig auf sein Konto eingezahlt, und das nicht wenig. Zu mir hat er mal gesagt, mehr als einen Laptop brauchst du nicht für lukrative Geschäfte.«
»Vielleicht hat er selber Kriegsspiele für Computer – ähm, erfunden«, meinte der Erlenweiler Vorstand.
»Könnte sein«, stimmte ihm sein Eisensteiner Kollege zu. »Aber das wiederum scheint der Annabel nicht recht gewesen zu sein.«
»Wieso?«, fragte ein ganzer Chor.
»Ich hab keine Ahnung«, antwortete der Gefragte, »aber eines weiß ich gewiss: Die beiden haben sich nur noch gestritten in letzter Zeit. Heftig gestritten.«
Etliche Schützen nickten.
»Wie Hund und Katz sind die auf einmal gewesen. Mord und Tot… ähm.«
Für eine Weile herrschte Schweigen am Tisch. Schließlich wandte sich das Gespräch den Schützenvereinen und ihren Belangen zu.
Der Vorstand der Eisensteiner brachte einen länglichen, in schwarzes Tuch eingewickelten Gegenstand an den Tisch.
»Ein Wildererstutzen«, sagte er, nachdem er den Stoff zurückgeschlagen hatte. »Dürfte so um 1860 verwendet worden sein.« Er wandte sich an seinen Kollegen aus Erlenweiler. »Ein Bekannter hat ihn mir zum Kauf angeboten, weil er weiß, dass unser Verein eine kleine Sammlung alter Waffen besitzt, die wir vergrößern möchten.«
Sein Kollege nahm ihm die Büchse aus der Hand und begutachtete sie. »Ziemlich ramponiert«, meinte er. »Angerostet, verbogen, sogar der Abzug ist weggebrochen.«
»Eben«, erwiderte der Eisensteiner. »Eben deswegen werde ich den Stutzen nicht kaufen. Ich wollte ihn schon zurückgeben, da ist mir eingefallen, dass euer Verein einen Büchsenmacher an der Hand hat, der selbst Waffen sammelt. Vielleicht hat der Interesse daran. Er könnte sich die Büchse wieder herrichten.«
»Der Böckl ist mein Nachbar«, meldete sich Hans Rot zu Wort. »Ich frag ihn. Du kannst mir den Stutzen gleich mitgeben.«
Das Gewehr wanderte von Hand zu Hand und kam langsam näher.
Fanni stand auf, ging zur Toilette, machte einen kleinen Rundgang ums Haus, kam zurück und setzte sich auf einen der Hocker an der ansonsten leeren Wirtshaustheke. Auf ihre Bitte hin brachte ihr der Wirt ein Glas Wasser. Während sie es in kleinen Schlucken trank, zog sie Bilanz:
Annabel und Severin benötigten Startkapital, weil sie zusammen ein Geschäft eröffnen wollten. Deswegen ging Annabel zum Bedienen in die Falkenstein Schutzhütte.
Das war aber ihrem Freund nicht recht.
Severin hatte derweil eine Möglichkeit gefunden, am Computer Geld zu verdienen.
Das wiederum schien Annabel nicht recht zu sein.
Sie stritten sich. Vermutlich stritten sie auch an dem Morgen, an dem Severin seine Freundin zur Arbeitsstelle fuhr. Und was passierte dann?
Fanni wollte dazu nichts einfallen.
Richtig, Fanni Rot! Du bist keinen Schritt weiter. Das hier war kein Volltreffer, das war ein Schuss in den Ofen
4
Am Donnerstagmorgen gegen neun Uhr schloss Sprudel vor dem Hauptportal des Gymnasiums von Zwiesel Fanni in die Arme. Sie musste lachen.
»Vierzig Jahre früher, und ich hätte einen saftigen Verweis dafür bekommen«, kicherte sie.
Als Antwort darauf gab ihr Sprudel auf jede Backe einen Kuss.
»Heute schwänzen wir auch noch«, sagte er und fügte nach einer kleinen Pause hinzu: »Wenn du in Zwiesel zur Schule gegangen bist, dann müssen deine Eltern ja hier gelebt haben.«
»In der Nähe von Regen«, nickte Fanni. »Mein Vater war – genau wie der Vater von Hans – Angestellter bei Rodenstock, Optik und Feinmechanik. Meine Eltern und ich haben Tür an Tür mit den Rots in dem kleinen Dörfchen Weißenstein unterhalb der Burgruine gewohnt. Während meiner Zeit am Gymnasium bin ich jeden Tag mit dem Zug von Regen nach Zwiesel gefahren.«
»Und was hat dich dann nach Erlenweiler verschlagen?«, fragte Sprudel.
»Hans. Als er ans Kreiswehrersatzamt in Deggendorf versetzt worden ist, mussten wir vom
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