Honigmilch
hat.«
»Severin besaß einen eigenen Schrank – hier im Hotel?«, japste Fanni.
»Ja, was ist denn daran so merkwürdig?«
Fanni schüttelte den Kopf. »Ich dachte nur gerade … Ob da wohl etwas drin sein könnte, das uns weiterhilft?«
Franz sah sie konsterniert an. Im nächsten Moment brachte er ein höfliches Lächeln zustande und sagte:
»Schauen Sie doch einfach rein, es ist der Eckschrank. Der Schlüssel für das Vorhängeschloss liegt oben hinter der Kranzleiste.« Dann nahm er seine Fleischabfälle und ging davon.
Er hält dich für meschugge!
Fanni eilte in den Flur, tastete oben auf dem Eckschrank nach dem Schlüssel, fand ihn und öffnete das Schloss.
Kleiderbügel schepperten, als sie die Tür aufklappte. Eine Regenjacke hing da, ein grauer Arbeitsmantel, eine gefütterte Hose. Auf dem Schrankboden stand ein Paar Sicherheitsschuhe, und in dem einzigen Fach ganz oben befanden sich eine Mütze, Handschuhe, zwei Bücher und ein Klemmblock.
Ein Laptop kann zwar recht kleinformatig sein, aber zwischen Buchseiten lässt er sich nicht verstecken!
Fanni starrte in den Schrank. Der Arbeitsmantel starrte zurück. Sein Saum kräuselte sich über den Sicherheitsschuhen. Wieso? Fanni hatte sich doch sehr strecken müssen, um den Schlüssel hinter der Kranzleiste zu erwischen.
Sie nahm die Schuhe heraus.
Darunter befand sich eine Sperrholzplatte. Fanni tippte sie auf einer Seite mit dem Finger an, sie gab nach.
Vorsichtig fuhr Fanni an den Rändern der Platte entlang. Hinten links blieb ihr Finger an einem Loch hängen. Sie steckte ihn ganz durch und zog. Die Platte ließ sich herauslösen.
Darunter lag Severins Laptop.
Holla, Miss Bayerwald-Marple!
Fanni klemmte sich den flachen Computer unter den Arm, setzte das Sperrholz wieder ein, stellte die Schuhe drauf, verschloss den Schrank und legte den Schlüssel zurück.
Dann rannte sie auf ihr Zimmer.
Nach dem Abendessen fühlte sich Fanni müde und schlaff, obwohl der Wilderertopf – wie Franz versprochen hatte – vorzüglich geschmeckt und Sprudel einen ausgezeichneten Rotwein dazu bestellt hatte.
Sie nippte matt an ihrem Espresso.
Willst du Sprudel nicht endlich von deinem Fund berichten?
Fanni entschied sich dagegen, weil sie vor dem Essen nicht mehr dazu gekommen war, Severins Laptop einzuschalten.
Zuerst sehe ich mir an, was dieser Fund zu bieten hat, dachte sie. Wenn nur Hausaufgaben drauf sind, wenn ich mir die Sache mit dem Geldverdienen auf die krumme Tour nur einbilde, dann lege ich ihn klammheimlich wieder zurück.
Das solltest du auf alle Fälle. Was du getan hast, war nämlich Diebstahl.
Sprudel klappte seine Wangenfalte bis zum Auge hoch, sah Fanni an und schwieg.
Fanni kannte die Gebärde gut: Er dachte nach.
Nach einer Weile sagte er: »Weit sind wir ja heute Nachmittag nicht gekommen …« Fanni wollte schon widersprechen, da beendete er den Satz: »… mit unseren Hypothesen.«
Fanni nickte.
Sprudel schob die andere Wangenfalte zum Ohr. »Gibt es einen Bezug zwischen den beiden Todesfällen oder gibt es ihn nicht?«
Bei Wilderertopf und Crêpes Suzette zum Nachtisch werdet ihr kaum dahinterkommen!
Sprudel ließ die Wangenfalten sinken. »Beide Mädchen hatten ein Ziel vor Augen, das sie möglichst bald erreichen wollten.« Er starrte seine Crêpes an. »Wie wär’s mit folgender Hypothese: Jemand hat sowohl Annabel als auch Irina Unterstützung versprochen.«
Für derart unterschiedliche, ähm, Projekte?
»Damit ließe sich eventuell weitermachen«, sagte Fanni zögernd.
Sprudel seufzte: »Damit lässt sich allenfalls von vorne anfangen. Wer hätte beiden Mädchen glaubhaft Hilfestellung anbieten können?«
Jonas Böckl?
»Wir müssten uns gründlicher über Irina Svetla informieren«, fuhr Sprudel fort.
»Bergreichenstein«, sagte Fanni. »Die Leute dort kennen sie von klein auf.«
»Wir fahren hin«, entschied Sprudel.
»Morgen?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich habe Hofer versprochen, ihm morgen früh zwei Stunden Unterricht abzunehmen, Thema: ›Formulare, Berichte, Anfragen‹. Bergreichenstein muss noch einen Tag warten.« Wieder wurde seine Wangenfalte mit Daumen und Zeigefinger in Richtung Ohr gedehnt. »Morgen bleiben uns die Nachmittagsstunden. Wie nützen wir sie?«
»Auf dem Falkenstein«, schlug Fanni vor. »Vielleicht geht er morgen dort um, der Wolpertinger, den wir suchen.«
10
Am Mittwoch, dem 27. September, frühstückte Fanni allein. Dann ging sie zurück auf ihr Zimmer, öffnete
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