Honigmilch
aufgenommen.«
Das Bild zeigte die Außenansicht der Falkenstein-Schutzhütte. In der Eingangstür stand Max der Wirt in weißer Schürze, einen Kochlöffel in der Hand.
»Ah«, schmunzelte Sprudel, »der Vorspann.«
Rudi sah ihn irritiert an.
Fanni fuhr indessen mit dem Daumen an dem blauen Band entlang und sagte: »Wirklich hübsch. Ein zusätzlicher Grund, sich für dieses Modell zu entscheiden.«
Rudi grinste verlegen. »Der Riemen gehört eigentlich gar nicht dazu. Den hab ich gefunden, in der Kapelle drüben.«
Er hatte kaum ausgeredet, da tönte es von draußen in den Dienstraum: »Wo versteckt er sich denn, unser Jubilar?«
Sepp erschien, umarmte seinen Kameraden und klopfte ihm den Rücken wund. Drei weitere Bergwächter zwängten sich in die Stube und umringten »ihren Rudi, den alten Saufkopf«.
Fanni und Sprudel stellten die Gläser auf den Tisch, wanden sich aus dem Gedränge, winkten kurz zum Abschied und machten sich davon.
Vor dem Eingang der Kapelle blieb Sprudel stehen. »Der heilige Florian hat also Bergwacht-Rudi zum Geburtstag einen Gurt für die neue Kamera geschenkt, schau an, schau an.«
Fanni warf einen Blick durch die offene Tür ins Innere der Kapelle. Doch alles, was sie von ihrem Standort aus erkennen konnte, war das Flackern einer Kerze.
Könnte es sein, überlegte sie, dass Bergwacht-Rudi die Kamera jenes Hüttengastes aus Passau gefunden hat? Wann? Nachdem Irinas Leiche abtransportiert worden war oder schon vorher? Oder etwa gar zum selben Zeitpunkt, an dem Irina starb?
Fanni wandte sich zu Sprudel um. »Meinst du, Bergwacht-Rudi sagt die Wahrheit? Hältst du ihn für dreist genug, so ungeniert zu lügen?«
Bevor Sprudel antworten konnte, kam Sepp, der aus dem Dienstraum getreten war und gegen einen Felsbrocken gepinkelt hatte, herangeschlendert.
»Hat er sie schon angezündet?«, feixte Sepp.
Weil ihn sowohl Fanni als auch Sprudel verblüfft ansahen und nicht wussten, was sie antworten sollten, steckte Sepp den Kopf in den Kapelleneingang und deutete auf die brennende Kerze. »Unser Rudi ist nämlich ein ganz Frommer«, erklärte er. »Jedes Mal, wenn ein Bergwächter oder jemand aus seiner Verwandtschaft Geburtstag hat, zündet er eine Kerze an und betet ein Vaterunser für ihn. Er redet ja nicht davon, der Rudi, aber wissen tun es alle.«
»Und heute brennt die Kerze für ihn selbst?«, fragte Sprudel.
»Genau«, bestätigte Sepp. »Den ganzen Sommer über zündet der Rudi Kerzen an. Im Mai für Franz und Karl und Hans, im Juli …« Sepp zählte etliche Namen auf. Offensichtlich gehörten auch Max der Wirt, die blonde Heide, Doc Haller und seine Frau und auch Annabel zu Rudis Schützlingen. »Letzte Woche«, schloss Sepp, »hat eine Kerze für mich gebrannt. Und stellt euch vor, am selben Nachmittag, an dem er sie aufgestellt hat, da hat der Rudi in der Nische, wo die Zündhölzer immer liegen, einen Gurt gefunden, der wie gemacht war für seine neue Kamera.«
»Das Wunder vom Falkenstein«, murmelte Fanni.
»Fragt sich, ob dich dein Kamerad da nicht zum Besten gehalten hat«, meinte Sprudel.
»Den Seinen gibt’s der Herr im Schlafe, sagt man bei uns«, antwortete Sepp. »Ich hab selber gesehn, wie der Rudi die Kerze reingetragen hat und mit dem Gurt herausgekommen ist.«
»Ist Ihnen an dem Band nichts aufgefallen?«, fragte Fanni.
»Ja, was hätt mit daran auffallen sollen?«
»Es ist blau.«
»Rudis Gurt, meint Fanni«, sprang Sprudel ein, »hat die gleiche Farbe wie der, an dem die verschwundene Kamera von dem Touristen hing.«
Sepp legte die Stirn in Falten. »Ja, was soll denn das jetzt heißen?«
»Sepp, auf geht’s«, schallte es in diesem Augenblick aus dem Bergwachtstübchen. »Wir wollen anstoßen – auf den Ru-udi!«
Bergwacht-Sepp tippte mit dem Zeigefinger an einen imaginären Hutrand und rannte zum Anbau hinüber.
Fanni ließ sich auf den moosgepolsterten Stein neben der Kapelle sinken. »Versucht etwa Bergwacht-Sepp seinen Kameraden zu decken?«, fragte sie. »Kann es sein, dass die beiden etwas mit den Todesfällen zu tun haben?«
Sprudel schüttelte den Kopf. »Lass uns von der Hypothese ausgehen«, schlug er vor, »dass die Bergwächter die Wahrheit sagen. Rudi hat den Riemen in der Kapelle entdeckt, wirklich und ungelogen. Jede andere Theorie«, fuhr er fort, »würde ja fordern, dass die beiden extra ein Lügengebäude konstruiert haben, nur um eine Erklärung für den Gurt an Rudis Kamera parat zu haben.«
Fanni nickte.
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