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Honigmilch

Honigmilch

Titel: Honigmilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Mehler
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sehen. Ich ließ mich ein Stück den Hang hinunterrutschen, und was erkenne ich da? Eine Fotokamera an einem blauen Band. Kurz entschlossen habe ich sie in meinen Rucksack gesteckt.«
    »Sie hätten sie dem rechtmäßigen Besitzer zurückgeben können«, unterbrach ihn Fanni. »Sie müssen doch am Tag darauf mitbekommen haben, wem sie gehörte.«
    Haller winkte unwillig ab. »Ich hätte sie auch gar nicht finden können, dann wäre sie für den Besitzer genauso verloren gewesen.«
    »Nein«, widersprach Fanni. »Dann hätte sie wenig später der Ranger gefunden, und der hätte sie zurückgegeben. Sie sind ein ganz gewöhnlicher Dieb, Doc Haller. Und damit es niemand merken sollte haben Sie ein, zwei Tage darauf – nachdem der Passauer Tourist abgereist war vermutlich – in der Kapelle das blaue Band abmontiert und dort liegen lassen.«
    Willst du ihn auf die Palme bringen?
    Er rammt mir doch sowieso gleich diese Nadel in den Hals.
    Haller grinste mokant. »Was für ein vorwitziges Spürnäschen Sie doch haben, Frau Rot. Aber jetzt halten Sie besser den Mund, damit Sie die Geschichte noch zu Ende hören können: Gerade als ich die Böschung wieder hochklettern wollte, fiel mir ein zweiter blauer Klecks ins Auge. Dieser Klecks befand sich mitten im Wasserlauf des Höllbach. Weil ich nicht gleich erkennen konnte, worum es sich dabei handelte, bin ich weiter ans Ufer hinuntergeschlittert und ein paar Schritte ins Wasser gewatet. Der Fleck entpuppte sich als Mädchen, präzise gesagt, als die Jacke eines Mädchens.«
    »Warum haben Sie nicht versucht, Irina zu helfen?«, rief Fanni vorwurfsvoll.
    »Nun machen Sie …«
    Fanni spürte einen Luftzug und richtete den Blick auf die Tür. Irritiert sah sich Doc Haller um.
    Jetzt! Greif ihn an, solange er abgelenkt ist!
    Fanni holte aus, um ihm das Glas an den Kopf zu schmettern. Doc Haller aber musste ihre Bewegung aus den Augenwinkeln bemerkt haben.
    Er tauchte weg.
    Das halb volle Milchglas flog in einem Bogen davon und zerschellte am Türrahmen.
    Eine Sekunde später fühlte sich Fanni von zwei Armen umklammert und gegen einen Körper gepresst. Sie konnte sich nicht bewegen, ihr Blickfeld beschränkte sich auf ein Stück Stoff mit blauen Streifen.
    Minuten vergingen, bis es Fanni dämmerte, dass die blauen Streifen zu Sprudels Freizeithemd gehörten.

16
     
    Spät abends saßen sie bei einer Flasche Wein im Hotel Zur Waldbahn, Fanni, Sprudel und Hofer.
    Fanni hatte noch mal geduscht und sich für ein Stündchen aufs Bett gelegt. Sprudel hatte sie bewacht. Sämtliche Schwüre Fannis, bei allen Heiligen des Himmels nicht einen einzigen Schritt aus dem Zimmer zu tun, hatten ihn nicht davon abbringen können.
    Er saß neben dem Bett und hielt Fannis Hand.
    Das tat ihr gut.
    Gegen halb acht waren sie hinuntergegangen, um eine Kleinigkeit zu essen. Eine Stunde später war Hofer zu ihnen gestoßen.
    »Frau Haller wird den Sturz von der Treppe überleben«, sagte er gerade. »Sie hat eine schwere Gehirnerschütterung, etliche gebrochene Rippen, ein geprelltes Knie – nichts, was sie jetzt noch umbringen könnte.«
    Hofer nahm einen Schluck aus seinem Weinglas. »Frau Haller hat Ihnen ihr Leben zu verdanken, Frau Rot. Eine Nacht auf dem Betonboden hätte sie wohl nicht überlebt.«
    Fanni schüttelte den Kopf. »Ich bin schuld an ihren Verletzungen«, sagte sie bedrückt. »Wenn ich den Schlüssel nicht umgedreht …«
    Sprudel legte ihr die Hand auf den Arm. »Fanni! Glaubst du, Doc Haller hätte seine Frau ein halbes Leben lang auf Beruhigungsmittel setzen und einsperren können?«
    Hofer trank sein Glas leer und schenkte sich sofort nach. »Haller hält sich für ein Genie«, sagte er stöhnend. »Doc Haller, der Mann, der Krankheiten ausbrechen und verschwinden lässt. Doc Haller, der Herr der Keime.« Er nahm wieder einen tiefen Schluck. Dann fragte er Fanni: »Was meinte Haller eigentlich, als er sagte, er habe Sie mehrfach gewarnt?«
    Sprudels Finger schlossen sich um Fannis Handgelenk.
    Sie druckste eine Weile herum.
    Als die beiden Männer nicht aufhörten, sie anzustarren, erzählte sie dem Tischtuch von der Kapelle am Finkenschlag, von der Brücke im Stadtpark und von den Schokoherzen. Erst nachdem sie mit ihrem Bericht schon eine Weile fertig war, sah sie auf und schaute in Sprudels Augen.
    Derart vorwurfsvoll hat er dich noch nie angesehen!
    Schuldbewusst senkte sie den Blick auf Sprudels Schulter. »Sprudel, dein Hemd ist ja voller Flecken!«
    Vis-à-vis hörte

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